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Die Werdohlerin Marion Jeßegus und ihr Leben zwischen Musik, Generationenwald und Kindern. Ein Portrait.

10.10.2024

Marion Jeßegus engagiert sich für die Natur, arbeitet von Herzen gerne für und mit Kindern – und liebt Musik. Das hat ihr Leben geprägt und wird wohl auch immer so bleiben (Foto: Kannenberg)
Marion Jeßegus engagiert sich für die Natur, arbeitet von Herzen gerne für und mit Kindern – und liebt Musik. Das hat ihr Leben geprägt und wird wohl auch immer so bleiben (Foto: Kannenberg)

Von Iris Kannenberg

 

WERDOHL + Mit der Werdohler Kirchenmusikerin und Musiklehrerin Marion Jeßegus treffe ich mich auf Hof Crone. Dort wurde 2022 auf Initiative des Werdohler Ökumene-Forums der „Generationenwald“ gepflanzt. Marion Jeßegus ist gemeinsam mit ihrem Mann Lothar (Gründer der Werdohler Flüchtlingshilfe) Teil des Forums und ist maßgeblich an der Organisation und Umsetzung dieses aufwendigen zukunftsweisenden Projektes beteiligt. Mich interessiert zunächst einmal, was zwei Jahre danach aus den Pflanzungen geworden ist. Wir fahren über ausgewaschene Wege den Berg hinter Hof Crone hoch und steigen bei bestem Wetter am Hang des neuen Waldes aus.

 

Die Bäumchen sind inzwischen schon ein gutes Stück gewachsen. Auf den absichtlich zwischen den Pflanzreihen belassenen Vegetationsstreifen hat sich die Natur ihren Platz zurückerobert. Fingerhut, Heidekraut und Ginster sprießen neben Sprösslingen verschiedenster Art aus der Erde hervor. Denn wie erwartet erwachen nach der Rodung der Fichten Samen in der Erde und treiben Blüte, die vielleicht seit Jahrzehnten auf diesen Augenblick gewartet haben. Laubbäume, Nadelgehölze, Blumen und Büsche bahnen sich ihren Weg auf die freigewordene Fläche und bieten Lebensraum für vielerlei Insekten und Kleintiere. Es sieht überall schön wild aus, ursprünglich und gesund. Ganz anders als die fast militärisch ausgerichteten Fichten, das sogenannte „Nutzholz“, das bis zur Borkenkäferplage den Hügel bewuchs. An den Bäumchen, die das Ökumene-Forum gemeinsam mit Werdohler Bürgern und der Kinderfeuerwehr gepflanzt hat, findet man Plaketten der jeweiligen Paten. Dazu eine große Tafel mit der Projekt-Idee, den Namen der Spender und kindgerechte Informations-Schilder zu den Bäumen sowie Bänke, die zum Verweilen einladen. Was wir sehen, wurde fast ausschließlich von engagierten Bürgern finanziert. Dazu kam die Förderung durch das Werdohler Leader-Management, wodurch die aufwendigen Vorbereitungsarbeiten ermöglicht wurden. Mit Unterstützung der Familie Crone, die die Pflanzfläche auf den Höhen zwischen Lenne und Verse zur Verfügung stellte, konnte das Projekt „Generationenwald Werdohl“ in die Tat umgesetzt werden. Jetzt, nach fast zwei Jahren, wird sichtbar: Der „Generationenwald“ hat das Regiment auf dem ehemals von Kahlschlag gekennzeichneten Hügel übernommen – Von Generationen für Generationen gepflanzt!“

 

Von hier aus hat man in alle Richtungen einen fantastischen Ausblick. Wir setzen uns in die Sonne und Marion Jeßegus erzählt mir aus ihrem Leben. Das ist vielfältig geprägt von ihrer fünfköpfigen Familie, Musik, ihrer Liebe zur Natur und dem eigenen Garten, der Arbeit in der Evangelischen Kirchengemeinde und im Ökumene-Forum und natürlich von Kindern. Sie berichtet: „Ich wurde hier geboren und Werdohl ist nach wie vor meine Heimat, obwohl es sich sehr verändert hat. Studiert habe ich in Düsseldorf, bin aber Werdohl immer verbunden geblieben. Auch deshalb, weil ich meinen Orgeldienst in der Christuskirche bereits als Schülerin begonnen habe. Da war ich dreizehn Jahre alt. Nach dem Studium habe ich dort eine Teilzeitstelle als Organistin und Chorleiterin übernommen. Ich bin von Beruf hauptamtliche B-Kirchenmusikerin. Nach dem Examen habe ich noch weiter studiert bis zur „Künstlerischen Reife“ im Fach Orgel. Allerdings habe ich kein A-Examen für die ganz großen hauptamtlichen Stellen angestrebt wie unser ehemaliger Kreiskantor Dmitri Grigoriev.“

 

„Auf eine dieser großen Stelle habe ich eh nie spekuliert, weil mir die Familie und unsere drei Kinder wichtig waren und ich Zeit für sie haben wollte. Ich versuchte dennoch, in der Christuskirche einiges auf die Beine zu stellen, sodass mir zu meiner großen Überraschung und Freude vor zehn Jahren der Kantoren-Titel verliehen wurde, eine Auszeichnung der Landeskirche für außergewöhnliche kirchenmusikalische Leistungen.“

 

„Um meinen Traum, mit Kindern zu singen, in die Tat umsetzen zu können, habe ich mich zu Beginn der Zweitausender Jahre um die Leitung des Kinderchores an der Musikschule Lennetal beworben. Ich war selbst kein Musikschulkind, bin jetzt jedoch bereits 20 Jahre dort in vielfacher Weise als Musikpädagogin tätig, mein eigentlicher Einstieg in die musikalische Arbeit mit Kindern. Ich habe in meiner Tätigkeit als Kinderchorleiterin mit den Kindern jährlich zwei Konzertauftritte vorbereitet und zusätzlich ein Kindermusical auf die Beine gestellt. Dafür habe ich neben der Probenarbeit Kostüme genäht sowie Masken und Pappmaschee-Köpfe gebastelt. Mir war wichtig, dass jedes Kind ein originelles und besonderes Kostüm anhatte, wenn es auf die Bühne ging. Ohne Ansehen der Person und vor allem des Geldbeutels. Es gibt z.B. eine Fassung der Zauberflöte von Mozart für Kinder mit Chor und vierhändigem Klavierarrangement. Mit wunderschönen Requisiten durch die Unterstützung engagierter Eltern. Bei diesem Stück habe ich zudem Klavier gespielt und gleichzeitig Regie geführt.“

 

Umringt von Kindern lernte ich Marion Jeßegus kennen. 2016 bei der Neu-Eröffnung des Brüninghausplatzes in der Werdohler Innenstadt. Inmitten von gefühlt 100 Kindern in bunten T-Shirts, deren Aufregung kaum zu überbieten war. Die durcheinanderwuselten und sich noch schnell bei den Eltern und Großeltern mentale Unterstützung holten. Umso erstaunlicher, dass die ganze Schar nur wenig später ordentlich in Reih und Glied auf der Bühne stand und ein Programm hinlegte, das von den vielen Erwachsenen vor der Bühne begeistert gefeiert wurde. Marion Jeßegus ist der erklärte „Käpt’n“ auf der Bühne. Sie strahlt Autorität aus, ohne autoritär zu sein. Die Kinder wissen, dass sie auf sie zählen können. Weil sie sie so nimmt, wie sie sind. Nicht als Funktionsträger, sondern als individuelle Persönlichkeiten. Die kleinen SängerInnen fühlen sich von ihr gesehen und wertgeschätzt. „Wenn wir miteinander z.B. ein Musical erarbeiten oder zu Weihnachten ein Krippenspiel, ist es mir wichtig, dass sich jeder einbringen kann und jeder, der sich traut, eine Rolle bekommt. Es ist berührend, zu erleben, wie die Kinder über sich selbst hinauswachsen, wie sie strahlen und ihr Selbstbewusstsein zunimmt. Dafür ist es wichtig, ihnen eine Möglichkeit zu geben, zu zeigen, was sie können. Gerade denen, die sonst nur selten die Chance dazu haben. Das schafft oft eine tiefe und positive Veränderung.“

 

„Im Laufe der Zeit kamen leider immer weniger Kinder in den Musikschul- Kinderchor. Woran das lag, kann man nur vermuten. Viele Kids haben schon im Grundschulalter einen vollen Terminkalender für den Nachmittag. Schließlich haben wir gemeinsam mit der Musikschulleitung den Entschluss gefasst, es anders zu machen. Nach dem Motto: ‚Wenn die Kinder nicht zu uns kommen, dann gehen wir zu den Kindern.‘“

 

Das Resultat war das Projekt ‚SGW- Singende Grundschulen Werdohl‘, an dem sich die Grundschulen beteiligten. Dafür coachte die Musikerin erst einmal die Lehrkräfte, um ihnen ein Repertoire an Liedgut nicht nur für den Musik-, sondern generell für den Alltag im Klassenunterricht an die Hand zu geben, auf das die Lehrer entsprechend zurückgreifen konnten. Hinzu kam eine wöchentliche Schulchorstunde im Teamteaching mit einer Grundschullehrkraft und die gemeinsamen Konzertauftritte der SGW- Chöre.

 

Singen wirkt erwiesenermaßen sprachfördernd. Wer singt, lernt oft ganz nebenbei mit dem Liedtext auch eine schwierige Sprache wie Deutsch. Gleich mit richtigem Satzbau und Betonung. Singen verbindet, macht Spaß und ist eine große Chance in der Spracherziehung. Aber nicht nur die Sprache wird so transportiert. Sondern auch die Kultur des Landes. „Singen“ ist für Marion Jeßegus daher eine elementare Lebensäußerung, eine universelle Sprache, die länderübergreifend verbindet und kulturelle Barrieren niederreißt.

 

Das sahen auch die Schulträger so. Die vielen Kinder aus Krisengebieten in den deutschen Schulalltag zu integrieren war und ist keine leichte Aufgabe. Bereits Jahre vorher sahen sich die Verantwortlichen mit Schulklassen konfrontiert, in denen das verbindende Element fehlte. Man lernte zwar gemeinsam, die Muttersprachler waren dabei aber klar im Vorteil und es begann etwas, was man vielleicht als „Ghettoisierung innerhalb eines bestehenden Klassenverbandes“ bezeichnen könnte. Um dem zu begegnen, wurde 2010 das Projekt „JEKI“ später „JEKits“ in Bochum gegründet. Hauptsächlich an sozialen Brennpunktschulen. „JeKits – Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“ ist ein kulturelles Bildungsprogramm in Grund- und Förderschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (für mehr Informationen: www.jekits.de). Durchgeführt wird JeKits in Kooperation mit außerschulischen Bildungspartnern - wie z. B. Musikschulen oder Tanzinstitutionen vor Ort gemeinsam mit den Schulen. Wegen des großen Erfolges wurde das Projekt 2011 auf die nähere Umgebung des Ruhrgebiets ausgeweitet. Dazu gehörte Werdohl.

 

„An den Grundschulen brauchte man Leute, die in der Lage waren, ‚JeKits‘ umzusetzen. Die Hilfe kam von Seiten der Musikschule Lennetal, die an die Schulen ging. Das war der Zeitpunkt von dem an ich als Musiklehrerin an drei von vier Werdohler Grundschulen unterrichtete. Wenn für mich im ersten JeKits- Schuljahr das Singen unverzichtbar zum Unterricht gehört, haben wir von der Lennetaler Musikschule im zweiten Schuljahr den Schwerpunkt auf das Erlernen eines Instrumentes gelegt, wobei ich dann jeweils eine Keyboardgruppe betreut habe. Das werde ich ab dem nächsten Schuljahr reduzieren, da ich eigentlich seit August 2024 ‚Ruheständlerin‘ bin. Bisher bin ich täglich hin- und hergefahren, von einer Schule zur anderen, und hatte oft nur die Pausenzeit für diesen Ortswechsel zur Verfügung. Das war echter Stress und wird sich jetzt ändern. Ich lasse es deutlich ruhiger angehen. Aus dem Jekits-Unterricht ist über die Jahre meine eigene Klavier- und Keyboardklasse gewachsen, die ich im Nachmittagsunterricht an der Musikschule betreue.“

 

„Auf die Arbeit mit Kindern will und kann ich nicht verzichten, weil sie mir viel Freude macht und die Kinder unsere Zukunft sind, die gefördert werden muss. In Zukunft etwas mehr Zeit zu haben, ist für mich ein großer Schatz, da ich mich so intensiver dem eigenen Instrumentalspiel und dem gemeinsamen Musizieren mit Freunden widmen, oder auch mal größere Projekte ganz anders planen und umsetzen kann.“

 

Sie hat bereits einer ganzen Generation von Werdohlern das Singen nahegebracht. Die Stadt gerade in diesem Bereich nachhaltig geprägt. Wäre es nicht an der Zeit, egoistischer zu sein und sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren? „Nein, auf keinen Fall. Ich möchte gern weiter mit Kindern arbeiten und sie für die Musik begeistern, die dem eigenen Leben so viel geben kann. Mit ihnen zu singen, bedeutet für mich, ihnen eine Stimme zu geben, ihnen Gehör zu verschaffen. Es gibt so viele Möglichkeiten, mit dem gemeinsamen Musizieren und Singen von Kindern das Schul- und Gemeindeleben zu bereichern. Und wenn man Ideen hat, beginnt man automatisch, dafür zu brennen. Vielleicht bin ich auch selbst nie so richtig erwachsen geworden und kann mich deshalb für diese Arbeit so begeistern.“

 

„Ich fühle mich reich beschenkt mit mancherlei Gaben und will mich nicht selbst loben, aber wenn man kreativ ist und das auch umsetzen kann - alles in einem bescheidenen Rahmen – dann fühlt man sich darin bestätigt, dass man das Richtige tut. Ich werde daher weiterarbeiten und jetzt nicht einfach ‚den Griffel fallen lassen“‘. Ich bin ein aktiver Mensch und das, was ich mache, kommt aus dem Herzen, sonst könnte ich diese Arbeit gar nicht tun. Da kann man nicht von einem Tag auf den anderen hinschmeißen und sagen, ok, jetzt mach ich gar nichts mehr. Außerdem: Kinder brauchen Erwachsene, die sich für sie einsetzen. Dabei geht es um die Förderung der einzigartigen Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes. Mit dem Ziel, dass es zu einem selbstbewussten und empathischen Menschen heranwächst, der wiederum Gutes an andere weitergibt.“

 

„Generell freue ich mich auf die kommenden Herausforderungen. Ob als Teil des Ökumene-Forums, oder auf die Arbeit mit den Kids in Schule und Musikschule. Auf Musik in der Kirche als Organistin und Kantorin und ein aktives Gemeindeleben. Werdohl ist und bleibt meine Stadt. Eine Stadt im Wandel, die unser Engagement als Teil dieser städtischen Gemeinschaft gerade in diesen herausfordernden Zeiten braucht.“

Bildimpressionen zu Marion Jeßegus (alle Fotos: Kannenberg)

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