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Den Weg des Segnens
14.4.2019
„Wenn die Briten aus der EU austreten, sollen sie schon sehen, was sie davon haben.“ „Die werden wirtschaftlich richtig bluten und das geschieht ihnen recht!“ Sätze wie diese hört man in den letzten Wochen öfter. Selbst Politiker scheuen sich nicht, Ähnliches zu äußern. Und ich frage mich: Wer denkt dabei an die Familien, deren Einkommen wegfällt, weil die Fabrik geschlossen wird? Oder an die Kranken, die ein dreiviertel Jahr länger auf einen Facharzttermin warten müssen? Es geht doch nicht um eine politische Sache, es geht doch um Menschen.
Aber wie bei einer Ehescheidung ist der Rest Europas gekränkt und verärgert, dass der Partner sich aus einer gemeinsamen Idee verabschiedet. Man fühlt sich sitzengelassen. Und so reagieren die kontinentaleuropäische Politik auf diese Kränkung mit wirtschaftlichen Rachephantasien und genugtuerischer Schadenfreude. Verletzte Menschen verletzen Menschen. Das gilt im Großen wie im Kleinen: in der Politik wie im persönlichen Miteinander.
Jesus lädt uns ein, einen anderen Weg mit unseren Enttäuschungen und Kränkungen zu gehen: Den Weg des Segnens.
„Segnet die, die euch Böses tun. Tut Gutes denen, die euch enttäuschen, betet für die, die euch kränken und verletzen.“ So könnte man die Worte Jesus aus der Bergpredigt in Matthäus 5 übertragen.
Und ich frage mich, was sich im europäischen Klima tun würde, wenn man, statt der eigenen Vorteile, das Gute für den anderen in den Blick nehmen würde. Wenn man gemeinsam schaute, wie es den Briten nach dem Brexit gut gehen könnte. Und den zurückbleibenden EU Ländern auch.
Nun ist Brüssel weit weg, aber der Ärger über die Rosinenpickerei des Arbeitskollegen oder des Nachbarn nicht. Auch wir erleben, dass Menschen uns kränken oder enttäuschen: wenn sie sich das Beste rauspicken und uns die Reste überlassen wollen - ob es dabei um eingereichten Urlaub an den langen Wochenenden geht oder um die Putztage im Treppenhaus.
Wie spannend wäre es, zu entdecken, was passiert, wenn wir den Weg Jesu hierbei ausprobieren:
Zu segnen, die uns Böses tun. Gutes zu tun, denen, die einen enttäuschen, für die anderen zu beten? Was würde sich im Miteinander verändern? Was würde sich in uns verändern? Ich wünsche den Briten jedenfalls, dass ihr Land nach dem Brexit aufblüht, sie weniger lange auf Arzttermine warten müssen und keine weiteren Fabriken geschlossen werden.
Pfarrer Sebastian Schultz
Evangelische Christus-Kirchengemeinde Lüdenscheid