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Persönlich erlebt: Requiem op. 9
24.11.2022

von Iris Kannenberg
LÜDENSCHEID + Am Sonntag, 13.11.2022 um 18.00 Uhr fand in der Lüdenscheider Erlöserkirche eine Aufführung des Requiems von Maurice Duruflé (1902 -1986) statt. Das Lüdenscheider Vokalensemble sang unter dem Dirigat von Kreiskantor Dmitri Grigoriev. Dieses Requiem op. 9 von Maurice Duruflé ist eine Vertonung der lateinischen Totenmesse für Mezzosopran- und Bariton-Soli, gemischten Chor und Orgel, sowie ursprünglich sogar einem Orchester. Das Werk entstand ab 1941 als Auftragsarbeit für das französische Vichy-Regime.
Erst nach Kriegsende fertiggestellt, wurde es an Allerheiligen 1947 erstmals aufgeführt. Das Requiem von Duruflé ist in mehrfacher Hinsicht dem Vorbild des etwa 60 Jahre früher entstandenen Requiems von Gabriel Fauré verpflichtet. Wie dieser schlägt Duruflé in seiner Komposition vorwiegend einen tröstend-kontemplativen Grundton an. Auch der Aufbau der beiden Werke ähnelt sich. Die Musik ist durchzogen von Elementen des Gregorianischen Gesangs. Das Requiem ist überwiegend ruhig und introvertiert. Auf diesem Hintergrund erscheinen die Höhepunkte in Dynamik und Tonlage umso einschneidender.
Der Anruf Kyrie, der zuerst fugiert erfolgt, erklingt beim zweiten Mal mit eruptiver Dringlichkeit. Die innige Bitte „Pie Jesu”, gesungen von einer individuellen Frauenstimme, steht im Zentrum der Komposition und wirkt unendlich bewegend auf eingestimmte Herzen - wie auch die langgehaltenen, strahlenden Akkorde, in denen die Chorstimmen - immer umrahmt von den Klängen der Orgel, die den Gesang genial grundiert oder kontrastiert - in höchste Höhen geführt werden.

Solisten der Aufführung waren der Berliner Mathis Koch, Bass-Bariton und Anna Padalko, eine bekannte Mezzosopranistin. An der Orgel saß Stefan Schmidt, Titularorganist des Würzburger Doms. Pfarrer Dr. Manuel Schilling, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Soest-Arnsberg gab eine Einführung in das Werk.
Er eröffnete das Requiem mit folgenden Worten: „Dieses Requiem ist gefühlt das Eintreten in die ewige Ruhe. Es drückt die Sehnsucht nach Frieden und Hoffnung aus und dass Gott uns hört. Der heutige Tag, kurz vor dem Volkstrauertag, wirft generell die Frage auf: „An wen denken wir?“ Wir gedenken natürlich der Toten der zwei Weltkriege. Aber auch des Krieges zwischen der Ukraine und Russland. Dimitri Grigoriev kommt als Russe aus einem Leid mit großer Tradition und kann nachempfinden, was Duruflé selbst empfunden haben muss, als er direkt nach dem 2. Weltkrieg dieses bewegende Requiem schrieb.
Die Frage nach Gerechtigkeit wird in unseren Tagen immer lauter. Das Wort Gottes, aber auch das Requiem verspricht uns, dass es ein Gericht geben wird, in dem den Opfern von Ungerechtigkeit Gerechtigkeit widerfahren wird. Wie viele Tote bleiben in unserer Welt unbedacht? Unendlich viele. Dabei erwartet uns bereits hier ein Leben in Fülle mit Jesus Christus, wir müssen es nur ergreifen. Die christliche Kirche ist in ihren Anfängen rasant gewachsen. Von Beginn an, haben wir Christen dabei gelernt, auf den Gräbern zu singen und zu tanzen. Warum? Weil uns eine ewige Herrlichkeit erwartet. Wir evangelischen Christen teilen eben nicht den Glauben an Verdammnis und Fegefeuer, sondern an die strahlende pulsierende Freude mit unserem Gott. Maurice Duruflé fuhr mit einer Ahnung von der Ewigkeit damals nach Paris, um dort die feinsten Seelenregungen unserer Verbindung zu Gott in Musik umzusetzen. Dieses Werk ist gewaltig, ausdrucksstark, zeitlos und ewig. Wir dürfen uns heute zudem auf unglaubliche Stimmen von internationalem Format freuen.“
Dem kann ich nur zustimmen. Dieses Requiem wird mir unvergesslich bleiben. Gesungen in der Sprache der Kirchenväter – Latein – entfaltete die Musik solch eine Strahlkraft, dass man sich mit geschlossenen Augen bereits im Himmel wähnte. Besonders das „Sanctus“ mit seinem „Hosianna“ riss die Zuhörer buchstäblich vom Sitz. So müssen Engelschöre klingen. So muss Ewigkeit klingen. Ich war zutiefst erschüttert. Im positiven Sinne. Hier hat tatsächlich jemand erkannt, wie herrlich Gott ist.

Nach dem Konzert hatte ich die Gelegenheit, mit Kreiskantor Dmitri Grigoriev noch einmal persönlich zu sprechen. Auf meine Frage, warum er mit diesem Requiem nicht auf Tournee ginge, antwortete er: „Es gibt keine ähnliche Orgel wie diese hier in der Erlöserkirche. Um diese Orgel haben wir gekämpft. Seit 2018 ist sie aufgebaut und in Betrieb. Nichts kommt ihr gleich. Und diese Qualität braucht es, um solch eine Aufführung zu stemmen.“
Mit dem „Lüdenscheider Vocalensemble“ brillierte zudem ein Chor - unterstützt von den beiden hervorragenden Solisten Anna Padalko und Mathis Koch - der das Werk von Maurice Duruflé mit stimmlicher Gewalt auf den Punkt genau umsetzte. Auch Stefan Schmidt an der Orgel war an diesem Abend kaum zu toppen. Unter der Leitung von Dmitri Grigoriev liefen alle gleichermaßen zur Höchstform auf. Das war tatsächlich Weltklasseniveau, intoniert in einer kleinen Kirche mitten in Lüdenscheid.
Schade wäre es allerdings, wenn es bei dieser einen Aufführung bliebe. Solch ein Konzert sollte jeder hören, der eine Vorstellung davon bekommen möchte, wie es im Himmel zugehen wird. Ich jedenfalls fühlte mich getröstet und tief berührt, als ich an diesem Abend die Erlöserkirche verließ. Das Publikum schien ähnlich zu empfinden, es gab minutenlange „Standing Ovations“. Gehört habe ich das Requiem bereits in anderer Form. Mit riesigem Chor und Orchester. Jedoch, nie hat es mich so ins Herz getroffen wie an diesem Abend. Gott schien wahrhaftig dort zu sein, in seiner ganzen Präsenz und Heiligkeit. Eine überwältigende Erfahrung.
Ich kann nur jedem empfehlen, der über eine ähnliche Orgel wie unsere Erlöserkirche in Lüdenscheid verfügt: Laden Sie das „Lüdenscheider Vocalensembel“ unter der Leitung von Dmitri Grigoriev zu sich ein. Sie werden es nicht eine Sekunde bereuen! ©ik
