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Interview: Den ganz Jungen Zukunft und Hoffnung geben
13.4.2023
von Iris Kannenberg
LÜDENSCHEID + Britta Schwarze ist 58 Jahre alt und seit 33 Jahren Lehrerin. Zunächst in Büren. Sie kam nach Lüdenscheid zurück, weil ihre Mutter schwer erkrankte und fand dort ihre geistliche Heimat in der Evangelischen Kreuzkirchengemeinde, in der sie sich auch ehrenamtlich engagiert. Für zwei Jahre arbeitete sie nach ihrer Rückkehr als Konrektorin an der Grundschule in Herscheid. Als das Schulamt sie darüber informierte, dass dringend Schulleiter gesucht würden, bewarb sie sich. Und hatte gleich drei Stellen zur Auswahl. Eine davon war die an der Evangelischen Martin-Luther-Grundschule in Werdohl. Für die engagierte Christin ein Herzensprojekt. Sie sagte mit Freuden zu. Eingeführt wurde sie in Werdohl 2011.
Regelmäßige Gottesdienste, Tage der Begegnung und Projektwochen sind an der Grundschule Programm. Immer in enger Zusammenarbeit mit der Evangelischen Christuskirche Werdohl, zu deren Einzugsbereich die Schule gehört. 2013 wurde Britta Schwarze zudem Mitglied des Werdohler Ökumene-Forums, bei dem sie sich bis heute engagiert.
Die Grund-Idee ihrer Schule war von Beginn an, alle Kinder gleichermaßen mitarbeiten zu lassen, egal welcher Religionsgemeinschaft sie angehören. Niemand wird ausgeschlossen. Die regelmäßigen Gottesdienste feiern sie als Mitglied des Ökumene-Forums gern an unüblichen Orten. Z.B. im Werdohler Bahnhof oder auf den Lennewiesen. Britta erklärt: „Kinder sind für so etwas immer zu begeistern. Wenn ich frage, wer bei solch einer Aktion mitmachen will, sind auf Anhieb zehn oder zwölf Finger oben. Die Gestaltung des Programms mit Liedern oder Interviews zu Themen wie Schöpfung, Naturschutz und Klimawandel, begeistern die Schüler, wird ihnen doch so eine Stimme verliehen.“
Auf meine Frage, ob auch Kinder ohne christlichen Hintergrund an ihre Schule zu finden sind, bejaht sie lächelnd: „Auf jeden Fall. Obwohl der evangelische Religionsunterricht bei uns Pflicht ist, unterrichten wir Kinder aus allen Kulturen. Momentan ca. 20 verschiedene Nationalitäten. Die Kinder arbeiten gern zusammen. Singen, Theater spielen, Pantomime, es gibt fast nichts, was sie sich nicht zutrauen. Sie lernen dabei, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen, die Unterschiede zu vergessen und sich gegenseitig als Personen kennenzulernen. Vorbehalte verschwinden, Freundschaften entstehen und nicht zu vergessen - die Kinder aus Migrationsfamilien lernen durch die gemeinsamen Aktivitäten wie unserem Schulchor, der von Marion Jeßegus geleitet wird, ganz nebenbei ein gutes Deutsch. Der Schulchor ist besonders wichtig für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Alle Lieder werden auswendig gesungen, was dazu führt, dass die deutsche Sprache schneller und geradezu spielerisch gelernt wird.
Ich möchte jedoch nicht, dass z.B. die muslimischen Kinder in unseren Gottesdiensten entgegen ihrem eigenen Glauben beten, da ich nicht will, dass die Eltern den Eindruck haben, dass wir ihnen gegenüber unfair sind. Die Eltern wissen, dass ihre Kinder vielleicht bei einem christlichen Rollenspiel mitmachen, aber sie müssen niemals etwas tun, was sie persönlich nicht wollen. Der Tenor ist: Ich lade euch ein, aber ihr müsst nicht. Die gleiche Philosophie haben wir bei uns in der OGS. Wir kochen „Halal“, damit alle mitessen können und niemand ausgeschlossen wird. So fallen Barrieren, da wir die Kinder beim Essen nicht trennen müssen. Ein weiterer wichtiger Schritt hin zur Integration.“
Es gibt an ihrer Schule viele interne Aktivitäten z.B. ein Schulparlament, mit dem regelmäßige Aktionen geplant werden. Die Kinder lernen vom ersten Schuljahr an: Auch wenn ich noch zu den Kleinsten gehöre, ich mache mit und werde ernst genommen.
Die Schule bietet zudem zu drei verschiedenen Uhrzeiten ein Eltern-Café an, damit jeder die Gelegenheit hat, dabei sein zu können. Das betrifft besonders die Eltern in Schichtarbeit. Dort geht es um pädagogische Themen wie Cybermobbing oder Handy-Spiele.
Britta Schwarze sagt: „Wir pflegen und entwickeln mit unseren Hilfestellungen besonders den Kontakt zu vielen anderssprachigen Elternhäusern, die sonst eher gesagt hätten, „mit Schule wollen wir nichts zu tun haben“. Wir erkennen das große Potential ihrer Kinder, die leider oft an der Sprachbarriere scheitern. Und das akzeptieren wir nicht. Einmal im Monat bieten wir daher den Eltern zudem Lehreinheiten zu einem schulischen Thema an. Mit dem Ziel, den Eltern Tricks mitzugeben, wie sie ihr Kind noch besser bei den Hausaufgaben unterstützen können.“
Äußerst wichtig ist Britta Schwarze der Erhalt und Schutz von Gottes Schöpfung. Die Schule ist umgeben von bewaldeten Hügeln. Irgendwann im Jahr 2021 fragten die Schüler ihre Rektorin: „Frau Schwarze, was ist da oben mit den Bäumen passiert, die sind ja auf einmal alle weg?“ Niemand hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit ihnen über den Borkenkäfer gesprochen und warum das Insekt so zuschlagen konnte. Die Lehrerin erklärte ihnen, dass die Bäume alle krank geworden waren und auch warum. Sie reagierten geschockt. Der Tod der Bäume ängstigte sie.
Beim nächsten Treffen des Ökumene-Forums sprach Britta daher das Thema gemeinsam mit Marion und Lothar Jeßegus an. Alle waren sich einig: Man muss etwas tun und der berechtigten Angst der Kinder aktiv begegnen. Daraus entwickelte sich Schritt für Schritt die Idee eines Generationenwaldes, der 2022 auf dem Werdohler Hof Crone gepflanzt wurde. Den Beginn machte die Evangelischen Grundschule Werdohl auf ihrem eigenen Gelände. Mittlerweile wurden gemeinsam mit den Schülern fünf Apfelbäume gepflanzt. Widerstandsfähige Sorten, denen eine Dürre nicht so schnell etwas anhaben kann. Britta Schwarze erklärt: „Wenn junge Menschen die Schöpfung um uns herum nicht kennen und nicht lieben, dann sind sie auch nicht bereit, sie zu beschützen. Genau das ist aber wichtig - besonders für die kommenden Generationen. Bei uns ist dieses Thema daher ein Dauerbrenner, viele Wochen im Jahr. Der jährliche Erntedankgottesdienst und seine Planung sind immer wieder für alle Klassen eine Gelegenheit, Natur und Schöpfung mit allen Sinnen wahrzunehmen, zu erfahren und darüber nachzudenken.
Eigentlich startete das Generationenwald-Projekt damit, als wir begannen, Bäume an Eltern weiterzugeben. Dazu haben wir Maronen- und Walnussbäumchen bei einer Baumschule besorgt und die haben die Eltern dann gekauft und zu Hause eingepflanzt. Daraufhin kamen immer wieder Rückmeldungen von Schülern, dass man zu Hause gar keinen Garten habe, aber doch gerne ebenfalls einen Baum pflanzen wolle. Das war dann der entscheidende Schritt dahin, größer zu denken. Warum nicht gleich einen ganzen Wald pflanzen, den man besuchen und an dem man sich gemeinsam erfreuen kann? Gerade jetzt starten wir wieder eine Anfrage in den Kindertageseinrichtungen und Schulen Werdohls, wer Interesse an einer Fortsetzung der Aktion „Generationenwald“ hat. Es wäre klasse, wenn sich noch einmal 60 Menschen für eine Baumpatenschaft finden ließen. Im Moment bin ich jedoch erst einmal dankbar, dass es so viel regnet und unser junger Wald sich gut entwickelt.“
Die Schüler und Lehrer der Evangelische Grundschule verstehen sich als lebendiger Teil der Stadt. Britta Schwarze ist es ein Herzensanliegen, dass die Menschen in Werdohl nicht vereinzeln, dass sich Jung und Alt umeinander kümmern und dabei lernen, dass sie sich gegenseitig brauchen.
Sie sagt: „Warum ich mich gerade für das menschliche Miteinander in unserer Stadt einsetze? Weil Abgrenzung und Spaltung das Schlimmste ist, was unserer Gesellschaft passieren kann. Wir haben gerade in der vierten Klasse über Rassismus gesprochen. Ein Mädchen sagte so treffend: „Rassismus ist blöd. Dadurch verliert man nur Menschen.“ Diese Sätze müssten wir groß an unsere Wände schreiben.“
Auf die Frage, was sie sich für Werdohl wünscht, antwortet sie wenig überraschend: „Natürlich wünsche ich mir, dass die Werdohler Jesus kennenlernen und ganz persönlich erfahren, dass Gott sie liebt. Ich wünsche mir zudem, dass die Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Es gibt hier so unterschiedliche Viertel. Ich hatte selbst die Illusion, in einem sauerländischen Kleinstädtchen gäbe es nur das sogenannte „Normale“. Aber weit gefehlt. In Werdohl wohnen auch viele arme Menschen. Bei einigen von ihnen habe ich Hausbesuche gemacht. Ich wusste bis dahin nicht, dass so etwas in Deutschland möglich ist. Dann gibt es wieder Gegenden, in den die Leute sehr wohlhabend sind. Beide haben über die Schule hinaus kaum Berührungspunkte.
Es wäre schön, wenn diese Trennungen, Vorurteile und Vorbehalte aufhören würden. Auf allen Seiten. In unserer evangelischen Grundschule hat man viele Möglichkeiten, ein Fundament des gegenseitigen Verstehens zu legen. Wir halten das als Christen für unseren Auftrag. Es ist zudem wunderbar, wenn man Buntheit und Offenheit füreinander lebt und Kinder sich schon ganz früh in einer positiven Weise begegnen und kennenlernen. Solche Menschen werden sich vermutlich im Alter nicht mehr gegenseitig quälen und erschießen. Manchmal sage ich zu meinen Kollegen: „Unser Beruf ist einer der Schönsten überhaupt, weil er so viele Möglichkeiten beinhaltet, Menschen zueinander zu führen, ihnen die Augen für die Einzigartigkeit des anderen, aber auch für die Schönheit von Gottes Schöpfung um uns herum zu öffnen. Ich bin mit Leib und Seele Lehrerin. Und gebe nicht auf, wenn es darum geht, gerade den ganz Jungen Hoffnung und Zuversicht für ihre Zukunft zu geben.“