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Vom Gummibärchen zum Sinn des Lebens

31.8.2023

Irmtraut Huneke, Bettina vom Brocke und Claudia Adams Kuhbier (von links) vom Seelsorge-Team auf dem Bautz-Festival berichteten über viele gute Gespräche. (Foto: Malte Cilsik)
Irmtraut Huneke, Bettina vom Brocke und Claudia Adams Kuhbier (von links) vom Seelsorge-Team auf dem Bautz-Festival berichteten über viele gute Gespräche. (Foto: Malte Cilsik)

LÜDENSCHEID + Rund 20.000 Besucher feierten zwei Tage lang mit bei der dritten Auflage Bautz-Festivals im Lüdenscheider Nattenberg-Stadion. Die Veranstaltung hat sich innerhalb kurz Zeit als Festival-Größe im Kalender der Region etabliert, insbesondere durch das Angebot für alle Generationen und einen Musik-Mix mit etlichen bekannten Größen, der für fast jeden Geschmack das passende bietet. Mittendrin dabei ist von Anfang an ein Seelsorge-Team unter Federführung des evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg. Insgesamt 16 Männer und Frauen, Haupt- und Ehrenamtliche aus dem Kirchenkreis beziehungsweise den Gemeinden der evangelischen Allianz Lüdenscheid wechselten sich an den beiden Festivaltagen ab und waren einfach da – für all diejenigen, die einfach mal ein offenes Ohr brauchten.

 

Pfarrerin i.R. Bettina vom Brocke gehörte zu dem Team, ebenso wie Frank Rüter, Pfarrer für Notfallseelsorge in der Region Südliches Westfalen, Irmtraut Huneke, Vorsitzende der evangelischen Allianz, oder Claudia Adams Kuhbier, Presbyterin in der Lüdenscheider Christuskirchengemeinde. Vom Brocke zieht ein durchweg positives Fazit des „Bautz“ und betont, wie wichtig es ist, dass Kirche gerade bei solchen Veranstaltungen Präsenz zeigt. Viele Menschen haben, so berichtet sie, mehr oder weniger spontan, die Gelegenheit zum Gespräch genutzt. Einige hätten die Seelsorger gezielt aufgesucht, andere sahen die Schokolade und die Gummibärchen auf den Tischen und fragten, ob sie sich eins nehmen könnten. Und mit einem mal entwickelt sich aus der Frage nach dem Gummibärchen ein tiefgründiges Gespräch über das Leben im Allgemeinen oder ganz individuelle Sorgen, Ängste und Nöte.

Ein großes Festival, bei dem vor allem zu lauter Musik fröhlich gefeiert wird, und Kirche – für Bettina vom Brocke ist das kein Widerspruch, im Gegenteil: „Es war eine ganz tolle Atmosphäre“, sagt sie über das gesamte Festival, „und wir als Kirche waren einfach mittendrin.“ Eben mal nicht mit Ritualen oder der Bibel in der Hand, sondern einfach mit Zeit für Gespräche. „Das waren nicht alles tiefgehende Begegnungen“. Und doch sei spürbar gewesen, dass dieses niederschwellige Angebot von vielen geschätzt wurde. Manch einer hätte den Seelsorgern im anonymen und trotzdem vertraulichen Gespräch sein Herz ausgeschüttet. Das zog sich quer durch alle Generationen und spiegelte damit auch die Vielfalt der Besucher des Festivals, das für die ganze Familie ausgerichtet ist. Die meisten Ratsuchenden seien, so schätzt sie, im Alter zwischen 20 und 40 Jahren gewesen, Männer wie Frauen.

 

Zur Sprache kamen Probleme in Beziehungen, mit den Eltern oder auch Themen wie Trauer und Verlust – und vielleicht auch ganz banal Gedanken über den Sinn des Lebens. Bettina vom Brocke und ihre Mitstreiter haben gemerkt, wie vielen solche Gespräche – „by the way“, wie die Pfarrerin sagt, also mal eben im Vorbeigehen – gut getan haben. Nicht wenige hätten einfach mal Lust auf ein gutes Gespräch gehabt, andere hätten jemanden zum Zuhören gebraucht, oder auch mal einen anderen Blick „von außen“ auf eine Situation, mit der sie mit Angehörigen oder Freunden nicht oder auch nicht mehr sprechen können. „Und dafür mussten sie nirgendwo hingehen, sondern wir waren einfach da.“ Die Chance, einem Fremden ganz anonym sein Herz ausschütten und sich dabei der Verschwiegenheit der Seelsorger sicher sein zu können, wurde gerne genutzt. Für Bettina vom Brocke und das Team auf dem Bautz eine ganz zentrale Aufgabe von Kirche, von Seelsorge überhaupt, gerade in einer krisengeschüttelten Zeit. Wobei nicht jeder, der sich bei Schokolade oder Gummibärchen bediente, gleich mit dem Absicht kam, einen Seelsorger zu sprechen. Oft habe sich das dann einfach aus dem Gespräch ergeben. Das Gummibärchen zwischen Turntable und Collabo Stage führt zur Frage, was das Team auf dem Festival macht. Und so kam eins zum anderen.

 

Alle, die dabei waren, verfügen über langjährige Erfahrung in der Seelsorge-Arbeit. Wenn es nötig gewesen wäre, arbeiten sie auch mit der Polizei und den Rettungskräften zusammen und können im Zweifel zumindest die richtigen Ansprechpartner und Adressen vermitteln. Während des gesamten zweitägigen Festivals war das Team, eingeteilt in zwei-Stunden-Schichten, vor Ort. Pro Schicht, so schätzen sie waren es rund zehn tiefer greifende seelsorgerische Gespräche, die geführt wurden. 2024 möchte das Kirchenkreis-Team beim Bautz noch präsenter werden. Die Idee ist, sich mit mobilen Teams gut erkennbar auf dem Festival-Gelände zu bewegen. ©bg

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