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Ein unvergesslicher Bach-Abend mit zwei Ausnahmemusikern in der Evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid

17.7.2024

Dmitri Grigoriev beim Abschiedskonzert (Foto: Kannenberg)
Dmitri Grigoriev beim Abschiedskonzert (Foto: Kannenberg)

Von Iris Kannenberg

 

KIRCHENKREIS + Fans der klassischen Musik durften sich am 22. Juni 2024 an einem ganz besonderen Konzert in der Evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid erfreuen. Dmitri Grigoriev, Komponist, Organist, Chorleiter, und Kreiskantor des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg gab sich ein hochkarätiges „Stelldichein“ mit dem Echo-Klassik-Preisträger, Cellisten, Schauspieler und Moderator Sven Holger Philippsen. Der reiste dazu aus Hamburg an.

 

Der Anlass des Konzertes war traurig. Dmitri Grigoriev verlässt Lüdenscheid und die Erlöserkirche am 30. September, um am Bodensee einen Neuanfang zu starten. Für die Stadt ein großer Verlust. Einen Musiker seines Formates zu verlieren, ist für viele Lüdenscheider nach wie vor unbegreiflich. Mit seinem Weggang entsteht ein Vakuum, das so schnell nicht zu füllen sein wird. Vielleicht nie, da er eine musikalische Qualität in die Stadt brachte, die sich auf internationalem Niveau bewegt. Lüdenscheid verliert mit ihm eine Person von großer Strahlkraft. Dankenswerterweise ist er nicht einfach weg, sondern verabschiedet sich mit mehreren Konzerten von seinem Publikum. Dazu gehörte die „Gambensonate“, die er gemeinsam mit Sven Holger Philippsen spielte. Diese Sonate gliedert sich in drei Teile: Sonate in G-Dur, BWC 1027, Sonate in g-Moll, BWV 1029 und die Sonate in D-Dur, BWV 1028.

Sven Holger Philippsen beim Willkommensgruß und Anmoderation (Foto: Kannenberg)
Sven Holger Philippsen beim Willkommensgruß und Anmoderation (Foto: Kannenberg)

Als geübter Moderator eröffnete der sympathische Cellist Sven Holger Philippsen den Abend mit folgenden einleitenden Worten an das Publikum: „Ach herrje, jetzt redet der auch noch. Wir sind doch eigentlich nur gekommen, um zuzuhören werden Sie vielleicht denken. Aber genau das ist es ja. Sie sind hierhergekommen. Das allein ist bereits ganz, ganz großartig. Dafür möchten wir uns bei Ihnen allen herzlich bedanken. Sie haben sich heute Abend auf drei Sonaten vom gleichen Komponisten eingelassen. Und bei so einer übersichtlichen Besetzung und dem vorhandenen Instrumentarium müssen Sie zudem genau hinhören. Denn es wird garantiert nicht laut. Diese drei Sonaten von Bach werden landläufig unter Musikern als die „Gambensonate“ zusammengefasst. Sie gehört zu den bekanntesten Titeln von Bach. Man weiß nicht genau, wann er sie überhaupt geschrieben hat. Was man weiß, ist, dass er sie nicht in der Reihenfolge geschrieben hat, in der sie veröffentlicht wurden. Man weiß auch nicht, für wen er sie geschrieben hat. Auf der Orgel sind nicht mal alle Töne vorhanden, die man für die Sonate braucht.

 

Lassen Sie sich zudem nicht täuschen – das hier vorne ist keine Gambe, sondern ein Cello. Die Gambe hat sechs Seiten und breite Bünde. Und was die Gambe an Breite hat, hat das Cello eben nicht. Das heißt, der Cellist muss bei bestimmten Passagen in die Höhe gehen. Jetzt werden Sie sich bei so viel Ungewissheiten fragen: „Warum spielen die das denn überhaupt heute Abend?“ Die Antwort: Es ist diese einzigartige Musik von Johann Sebastian Bach. Sie ist voller Spielfreude. Voller genialer Ideen. Und vor allem - und das finde ich heutzutage besonders erwähnenswert - ist sie Ausdruck hoher Kommunikationsfähigkeit zwischen den Musikern. Die beiden Hände auf der Orgel und die eine Hand am Cello sind gleichberechtigt. Wir als Interpreten gehen respektvoll miteinander um. Wir hören aufeinander. Die musikalischen Anteile sind gleichberechtigt. Beide Parts sind sehr dankbar und vor allem erfüllend. An einem Ort, an dem sich keiner in den Vordergrund drängt, entsteht so eine musikalische Offenbarung. Sogar gelegentlich etwas wie eine kosmische Unendlichkeit, wie sie eben halt nur Bach auf seine Weise komponieren konnte. Ganz besonders kommt dieses vielleicht hochtrabend klingende kosmische Unendliche in der ersten Sonate im dritten Satz zum Ausdruck. Darauf können Sie gleich ganz besonders achten. Sie werden die Zeit ticken hören. Manchmal steht sie auch still. Sie werden mit dem Organisten und der vermeintlichen Gambe durch das Universum wandern. Dabei wünschen wir Ihnen viel Spaß und großes Vergnügen!“

Beide gemeinsam – Dmitri Grigoriev und Sven Holger Philippsen. (Foto: Kannenberg)
Beide gemeinsam – Dmitri Grigoriev und Sven Holger Philippsen. (Foto: Kannenberg)

Er hatte nicht zu viel versprochen. Einfühlsam aufeinander abgestimmt verschmolzen Cello und Truhenorgel zu einer perfekten Einheit. Und ja, es wurde universal, man wanderte tatsächlich mit der Musik durch das Universum. Wenn man sich darauf einließ und das Herz ganz weit öffnete. Erinnerte die Sonate G-Dur, BWV 1027 stellenweise an lebendiges Wasser und überirdische Sphären, konnte der aufmerksame Zuhörer bei der Sonate in g-Moll, BWV 1029 deutlich Bruchstücke moderner Musik erkennen. Immer wieder glänzte ein bekanntes Element wie ein kleiner Diamant aus dem großen Ganzen heraus. Man hatte dieses Thema bereits gehört. In Filmen, Musicals und auch in dem einen oder andere Popsong. Heutige Komponisten haben hörbar Anleihe genommen an Bachs Virtuosität. Kein Wunder, bieten diese drei Sonaten doch viele Ansätze und Melodien, die, jede für sich genommen, würdig genug sind, weiterverfolgt zu werden. Die Sonate in D-Dur, BWV 1028 wirkte stellenweise sogar modern. Der Eindruck konnte entstehen, dass in diese drei Sonaten etwas eingeflossen ist, das Bach tatsächlich direkt von Gott empfangen hat. Vielleicht hat Gott ja bei einem kleinen Spaziergang zu Johann Sebastian gesagt: „Jetzt pack mal ordentlich rein in meinen Fundus und bediene Dich.“ Das hat sich der Komponist nicht zweimal sagen lassen und liefert uns nun als Resultat mit der „Gambensonate“ anscheinend eine Zusammenfassung aus winzig kleinen Stücken jeder Musik, die irgendwann einmal komponiert wurde oder noch komponiert wird. Genau betrachtet: Er liefert uns ein echtes Wunder.

Viel Applaus am Ende des Konzertes. (Foto: Kannenberg)
Viel Applaus am Ende des Konzertes. (Foto: Kannenberg)

An diesem Abend und bei diesem Konzert erlebte der Zuhörer daher so viel mehr, als nur Musik zu hören. Johann Sebastian Bach ist eine Gesamterfahrung. Seele und Geist werden gleichermaßen angesprochen. Selbst für den Körper ist seine Musik heilsam. Man entspannt, gibt sich hin und verliert auch ein wenig das Gefühl von Raum und Zeit. Dmitri Grigoriev und Sven Holger Philippsen transportierten in ihrer sensiblen und einfühlsamen Art daher nicht nur einfach Musik, sondern es gelang ihnen, den wahren Geist des Komponisten zu erfassen und weiterzugeben. Der wiederum schrieb Zeit seines Lebens seine Musik nie allein, sondern immer im Dialog mit unserem Schöpfer. Ein beeindruckendes Konzert in der Erlöserkirche, das den Zuhörern noch lange in Erinnerung bleiben wird.

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