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„Du stellst meine Füße auf weiten Raum“ (Ps.31). Regina Mira Bahlo – ein Portrait.

23.8.2024

Regina Mira Bahlo an der Orgel mit Kreiskantor Dmitri Grigoriev (Foto: Kannenberg)
Regina Mira Bahlo an der Orgel mit Kreiskantor Dmitri Grigoriev (Foto: Kannenberg)

Von Iris Kannenberg

 

KIRCHENKREIS + Regina Mira Bahlo ist eine bekannte Persönlichkeit. Nicht nur als feste Größe und unverzichtbarer Teil der Evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid und Mitglied des Kreisynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, sondern weit darüber hinaus. Die vierfache Mutter, Trauma-Therapeutin, Sängerin und Literatin kann man gar nicht übersehen. Spätestens dann, wenn man die Konzerte in der Erlöserkirche besucht, fällt sie einem unweigerlich irgendwann auf. Mal steht sie an der Kasse, mal kündigt sie das Programm an, dann wieder ist sie Teil in einem der wunderbaren Chöre: der „Heinrich-Schütz-Kantorei“ und des „Lüdenscheider Vokalensembles“, die regelmäßig gemeinsam mit dem Dirigenten und Organisten Dmitri Grigoriev sowie Solisten in der Kirche auftreten. Regina Mira Bahlo ist eine Persönlichkeit von großer Strahlkraft. Was sie selbst gar nicht so empfindet. Sie sieht sich eher als jemanden, der gar nichts Besonderes ist. Ein ernstgemeintes Understatement, das ehrlich rüberkommt und sie letztendlich noch sympathischer macht.

 

Sie war lange Zeit im Presbyterium der Versöhnungs-Kirchengemeinde und prägte dort bereits das Gemeindeleben mit. Seit 2020 ist sie Mitglied des Kreisynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg. Seit zwölf Jahren ist sie zudem die 1. Vorsitzende des „Fördervereins für kirchliche Musik“ der Erlöserkirche. Und hat dort ihren Platz gefunden. Was sie gemeinsam mit Dmitri Grigoriev und ihrem Verein in dieser Zeit erreicht hat, ist für eine Kirchengemeinde, die sich der klassischen Musik verschrieben hat, eigentlich beispiellos. Wir sprechen hier schließlich nicht von der Dresdner Frauenkirche oder dem Kölner Dom, sondern einer Gemeinde mittlerer Größe in einer Kleinstadt.

 

In ihrer Zeit als 1. Vorsitzende hat sie nicht nur den Bau der einzigartigen Baumhoer-Orgel der Kirche mit vorangetrieben, sondern auch gemeinsam mit ihrem Kantor eine musikalische Qualität in der Kirchengemeinde erreicht, was wirklich herausragt. Viele Projekte mit bekannten Solisten wurden gemeinsam verwirklicht und die klassische Konzertlandschaft im Märkischen Kreis damit definitiv um regelmäßige Highlights bereichert. Was nicht immer ganz einfach war. Von 13 Konzerten auf 42 Konzerte im Jahr aufzustocken und dabei immer gleichbleibende Qualität zu gewährleisten, erfordert Organisationsgeschick, Mut und große Liebe zu diesem musikalischen Genre, das heutzutage durchaus nicht mehr jedermanns Sache ist. Wer sich als Publikum auf dieses Angebot einlässt, darf erleben, dass Regina Bahlo und ihren „Mitstreitern“ etwas gelungen ist, was ganz und gar nicht alltäglich ist: Verständnis für klassische Musik zu wecken in einer Zeit, in der gerade jüngere Menschen kaum noch wissen, wer Bach, Reger oder Händel überhaupt waren. Geschweige denn ihre Musik kennen.

 

Bei den Konzerten in der Erlöserkirche macht man jedoch eine andere Erfahrung. Im Publikum sitzen nicht nur ältere Menschen, die man durchaus erwartet, sondern auch viele junge bis ganz junge. Die Kirche ist voll und die Menschen werden sichtbar berührt. In einer Zeit der oft gelebten Oberflächlichkeit, von Hektik, Stress und tausend ungelösten Lebensfragen zieht es die Menschen gleich welcher Generation anscheinend wieder hin zu echten und tiefen musikalischen Erlebnissen. Zu einer Musik mit Ewigkeitscharakter. Zu einem Gotteserlebnis.

 

Regina Bahlo ist eine derjenigen, die sich bereits seit langem für den Erhalt der Kirchenmusik einsetzt, sie fördert und in ihrem Fall genau die richtigen Voraussetzungen und Künstler gefunden hat, um ihren „Traum von Musik“ umsetzen zu können. Kreiskantor Dmitri Grigoriev ist ein wesentlicher Teil davon. Mit ihm zusammen gelang es in den letzten Jahren ein tragfähiges Netzwerk von Musikern und Musikerinnen aufzubauen, das ebenfalls weit über Lüdenscheid hinaus reicht. Regina Bahlo ist froh über die letzten zwölf Jahre und zieht eine positive Bilanz: „Es ist nicht alles gelungen, jedoch sehr viel.“ Dazu gehören die Gründung der „Stiftung Altstadtorgel“, die Aufnahme von CD´s wie „Cantabo Domino“ mit dem Bariton Klaus Mertens inmitten in der Coronazeit oder die Aufführung des „Maria-Oratoriums“ im Mai dieses Jahres. Sie ist dankbar. Für die vielen Unterstützer und Unterstützerinnen um sie herum, für ihren Kantor, für die beiden Chöre der Gemeinde und natürlich für die Mitglieder des Fördervereins, die so großzügig dabei mithalfen, die oft anspruchsvollen Projekte auch finanziell umzusetzen. Die nicht murrten, als sogar Mitgliedsbeiträge erhoben wurden, um die Stelle des A-Kantors für fünf Jahre zu sichern.

Regina Bahlo - unverzichtbarer Teil der Evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid und Mitglied des Kreisynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg (Foto: Kannenberg)
Regina Bahlo - unverzichtbarer Teil der Evangelischen Erlöserkirche Lüdenscheid und Mitglied des Kreisynodalvorstand des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg (Foto: Kannenberg)

Es gäbe noch viel über die aparte Frau zu berichten, die genauso gekonnte mit Zahlen jongliert und Konzerte organisiert, wie sie singt und schreibt. Schöner ist es jedoch, wenn sie selbst über sich erzählt. Die nachfolgenden Worte kommen aus ihrer eigenen Feder und entsprechen dem Eindruck, den man von ihr hat: Ehrlich und tief verankert in dem EINEN, der sie trägt. In dem, mit dem sie immer wieder über Mauern springt.

 

„Ich habe definitiv einen Teil meiner norddeutschen Heimat in mir: Sturmerprobt, wie die Eigenschaften der See, von Ebbe, Flut und Wind getrieben, mich über Rückenwind freuend und gegen den Wind stemmend. Naturgewalten, denen ich mich stelle, mit dem Ziel, das Leben, in das ER meine Füße gestellt hat, in Demut vor IHM zu leben. ER gab mir einen weiten Raum.

Ich wurde immer wieder vor Entscheidungen gestellt. Das ist wohl meine treffendste Lebensbeschreibung: Getroffene Entscheidungen, die ich nicht rückgängig machen möchte. Gute Entscheidungen, solche voller tiefgreifender Konsequenzen. Natürlich habe ich auch Menschen mit meinen persönlichen Entscheidungen enttäuscht. Generell ist es jedoch mein Wunsch, meine Umgebung schadlos halten. Ich bin gern bereit, zu helfen, gemeinsam zu überlegen und Gedanken zu ordnen. In solchen Prozessen muss man auch Enttäuschungen aushalten. Meine vielleicht besten Eigenschaften: Ich kann zwar einerseits viel reden, ich kann jedoch genauso lange schweigen. Anderen einfach zuhören und später auf den Punkt bringen, was gesagt wurde.

 

Mit vier Töchtern auf mich gestellt, war ich lange Zeit alleinerziehend. Sie sind nun erwachsen und ohne Einschränkung das Wichtigste in meinem Leben, sie und die fünf Enkelkinder. Das allergrößte Geschenk, das mir in dem ‚weiten Raum‘ gegeben wurde.

 

Immer wieder habe ich meine Fragen an Gott: „Wo willst DU mich? Darf ich behalten, was mir wichtig ist?“ ER hat mir Eigenschaften gegeben, mit denen ich mein Leben meistern kann. Dazu gehört ganz sicher, dass ich Menschen liebe. Sie fordern mich heraus durch ihre Liebenswürdigkeit, ihren Rückzug, ihr Leid, ihre Trauer, ihr Er-Leben, ihr Leben generell. Und das, was sie mir schenken: Vertrauen, Wahrheit und Offenheit. Ich möchte ihnen dieses Vertrauen, diese Wahrheit, Offenheit und Zuneigung zurückgeben. Keine Enttäuschung für sie sein. Denn Enttäuschungen halte ich selbst nur schwer aus.

 

Da ich von Natur aus neugierig bin, nehme ich Projekte und Aufgaben oft ganz spontan an. Dahinter steht für mich die Frage, warum gerade mir so viel anvertraut wird. Ein anspruchsvoller Beruf und Ehrenämter haben mein Handeln ebenfalls immer wieder herausgefordert. Ich habe sie aus der Überzeugung heraus angenommen, dass - wo auch immer meine Füße hingestellt werden – auch mein Platz ist. Das war nicht immer so. Heute den Mut zu haben, mich diesen Aufgaben zu stellen, ist dem zu verdanken, dass mein Selbstvertrauen im Laufe der Jahre mit den Herausforderungen gewachsen ist. Heute treffe ich Entscheidungen, die für mich umsetzbar und tragfähig sind. Es gibt auch die andere Seite, nämlich, dass ich mich aus einem Projekt verabschiede. Meistens dann, wenn ich den Eindruck gewinne, dass hier von meiner Seite aus alles getan wurde, was getan werden musste. Oder eines meiner Vorhaben keine Unterstützung durch die anderen findet. Ich kann loslassen. Auch mit dem Gedanken, auf dem Weg der anderen kein Hindernis zu sein. Dann tun mir Spaziergänge gut, um mich wieder zu sortieren und einen freien Kopf zu bekommen.

 

Wichtig ist mir in alldem mein Glaube, die Stille mit Gott, abwarten, wohin ER mich führt und die unendliche Dankbarkeit für meinen Lebensweg. Trotz der Stürme und Beben und Zweifel, die ich immer wieder durchlebe.

 

Musik hat in meinem Leben einen besonderen Platz, ohne professionelle Musikerin zu sein. Ich singe und spiele Klarinette und Violine. Was ich an Musik so sehr schätze: Musik ist wahr, ist ehrlich, gibt jedem einen Freiraum, lässt Gefühle der Freude und Fragen der Zweifel zu, bewertet nicht, lässt mich sein und macht mein Herz weit für Zuversicht und Vertrauen. Sie tröstet. Sie hilft, mich innerlich ruhig zu machen, gerade nach therapeutischen Gesprächen mit Menschen, die Unvorstellbares erlebt haben. In dem, was ich singe, kann ich meine Gedanken und Gefühle ausdrücken.

Mit und durch Musik habe ich zudem viele Freunde gewonnen, wir sind eine wertvolle und unschätzbar schöne Gemeinschaft.

 

Auch für die Musik hat Gott einen weiten Raum geöffnet. Und wie in den anderen Bereichen frage ich manchmal, warum gerade für mich? Was findet ER bloß an mir? Diese ständigen Fragen sind ein beständiger Teil meines Lebens. Auch, wenn es für vieles erst später eine Antwort geben wird, weiß ich ganz fest, dass ich mit IHM verlässlich einen ruhigen Hafen anlaufen darf, in dem ich Schutz finde. Besonders nach einer eher ängstlichen und gefahrvollen ‚Fahrt‘ auf dem ‚Dampfer des Lebens‘.

 

ER stellt meine Füße auf weiten Raum, hat mein Leben immer wieder - auch in Gefahr und Krankheit - bewahrt, mich beschützt und in eine Gemeinschaft wertvoller Menschen gestellt. Ich bin unendlich dankbar dafür.“

Regina Bahlo schreibt Gedichte. Eines wurde von Dmitri Grigoriev an der Orgel vertont. Man findet es auf YouTube unter Dmitri GRIGORIEV (*1979), „Seelentanz“.

 


Seelentanz von Regina Mira Bahlo
Seele sucht die Melodie,

findet Sehnen, Tränen, Schmerz,

Töne nicht in einem Klang

Kälte macht Gedanken leer.

 

Kleines Lied versteckt sich stets,

wo sind Stimmen, niemand hört,

wenn es leis und ohne Trost

einsam fühlt sein eignes Herz

 

Warum ist das Finden schwer,

warum sind die Augen leer,

warum sind die Ohren stumm,

warum sind die Schritte lahm.

 

Wünsche sind erfroren, still,

Lied und Seele weit entfernt,

Hoffnung, dass ein Anfang eint

beide-ohne Kraft und Müh

 

Lied nun zitternd hört den Ton,

den die Seele leise singt,

zart im Nebel beide ahnen,

dass die Einsamkeit verrinnt!

 

Nur gemeinsam süßer Klang

schwebend, tanzend, wohlbedacht,

Rhythmus streichelt, Liebe zieht,

Lied und Seele schmelzen fort,

 

bis zum Ort mit Glanz und Licht,

selig in Musik vereint,

nur die eine Melodie

singt von Trost und wärmt und fühlt.

 

Herzen schlagen gleichen Takt,

Augen leiten gleichen Weg,

Ohren hören Stimmen fein,

Schritt um Schritt im Seelentanz

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