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Ein besonderer Moment der Gemeinschaft mit Anselm Grün

27.6.2017


  

Pater Anselm Grün sprach in der Kirche St. Medardus. (Foto: Raith)

Von Guido Raith

Lüdenscheid. Eines der Highlights im Rahmen der Veranstaltungsreihe zum Reformationsjubiläum im Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg konnte jetzt in Kooperation mit der katholischen Gemeinde St. Medardus ökumenisch in der Lüdenscheider Medarduskirche präsentiert werden: Pater Anselm Grün, Mönch der Benediktiner-Abtei Münsterschwarzach und bekanntester spiritueller Autor in Deutschland, gab in einem Vortrag vor rund 300 Zuhörern Impulse zur heilsamen Kraft der Feste des Kirchenjahres.

„Ohne Bedenken“ habe Anselm Grün die Frage beantwortet, ob er zu einer evangelischen Veranstaltung im Rahmen des Reformationsfestes kommen würde, leitete Superintendent Klaus Majoress die Veranstaltung ein. Das sei etwas Besonderes. Und dass diese Veranstaltung zudem in „dieser wunderschönen katholischen Kirche“ stattfinden könne, sei auch besonders, so Majoress weiter: „Besser kann man Ökumene nicht zum Ausdruck bringen.“

 

Superintenden Klaus Majoress begrüßte den spirituellen Autor in Lüdenscheid.

Als Einstimmung intonierten Katja Fernholz-Bernecke (Gitarre) und Johannes Gehring (Geige) von der Musikschule einen rumänischen Volkstanz.

„Bilder der Seele – Leben im Einklang mit dem Jahreskreis“ lautete der Titel des Vortrages von Anselm Grün, der sich im Besonderen der heilsamen Kraft in der Bedeutung der Kirchenfeste widmete. Lukas habe das heilende Wirken Jesu in der Bibel als Heilsjahr beschrieben. Er stelle sich das so vor, dass die Geschichte Jesu im Kirchenjahr gefeiert würde, damit sie unsere menschliche Geschichte immer mehr verwandelt. Das Abendmahl sei nicht nur ein „Privatvergnügen“, sondern es wirke in die ganze Gesellschaft hinein, so dass die Geschichte der Menschheit und unsere persönliche Lebensgeschichte immer mehr geheilt und verwandelt würde, so Anselm Grün.

 

Rund 300 Gäste waren in die Kirche gekommen.

Die Kirchenfeste, die wir allesamt Lukas verdanken würden, seien heilsame Bilder für uns. Grün: „Wir feiern im Kirchenjahr unsere Verwandlung.“ Heute sei es modern, sich ständig zu verändern. Darin, ein anderer Mensch werden zu müssen, liege etwas Aggressives. Die christliche Botschaft aber heiße Verwandlung. „Ich würdige mich, so wie ich geworden bin,“ so Grün, „aber das einmalige Bild, das Gott sich von mir gemacht hat, leuchtet noch nicht genug durch mich hindurch. Das Ziel der Verwandlung ist, immer mehr ich selber zu werden. Dazu dienen die Feste des Kirchenjahres.“

Im Advent käme man mit der eigenen Sehnsucht in Berührung. Sucht sei immer ertränkte Sehnsucht, so Grün. „Sehnsucht ist etwas Heilsames für den Menschen. Die Adventszeit will uns wieder mit unserer Sehnsucht in Berührung bringen. Dass wir unsere Süchte in Sehnsüchte verwandeln.“

Die Theologie von Weihnachten sei die, dass Gott „einer von uns geworden ist“, berichtete der Autor. Gott sei hinabgestiegen, damit auch wir den Mut haben, hinabzusteigen in die eigene Wirklichkeit, in den Schattenbereich unserer Seele, wo wir all das verdrängt haben, was wir nicht anschauen möchten. Dann fänden wir den Ort, wo Christus in uns geboren wird. Grün: „Hinabsteigen heißt, dass wir das Licht Jesu eindringen lassen in all unsere Verletzungen, Wunden, in all das Verdrängte, damit alles in uns verwandelt wird.“

An Weihnachten würden wir die Geburt des heiligen Kindes feiern, so Grün. Das wäre auch etwas Heilsames, denn auch das göttliche Kind in jedem würde hier geboren. Das sei ein Bild für eine Wirklichkeit, über die man nur in Bildern spreche könne. Es meine das einmalige Bild eines Jeden, das Gott sich gemacht habe. Es sei die Aufgabe, genau dieses Bild zu verwirklichen, dass man eigentlich nicht mehr beschreiben könne, aber finde, wenn man im Einklang mit sich selbst sei.

In jedem von uns gäbe es einen Raum der Stille, in dem man frei von den Erwartungen der Menschen sei, erläuterte Anselm Grün weiter. Dort wäre man ursprünglich und authentisch und es lösten sich die Bilder auf, die Andere uns übergestülpt hätten. Dort lösten sich auch die Bilder der Selbstentwertung und der Selbstüberschätzung auf. „Die Depressionen sind oft ein Hilfeschrei der Seele gegen diese maßlosen Selbstbilder,“ so Grün.

Die oft als unangenehm empfundene Fastenzeit sei für die Kirchenväter die heilsame Zeit – Trainingszeit für die innere Freiheit. Grün: „Dass wir selber leben und nicht gelebt werden. Wer nicht verzichten kann, kann auch nicht genießen.“ Zudem wäre die Fastenzeit eine Zeit der Reinigung, auch der Seele. Ein wichtiger Aspekt der Seelenreinigung wäre, einmal nicht über andere zu sprechen. Grün regte an, „als Übung“ einmal eine Woche bewusst nicht über andere Menschen zu reden. „Da werden sie merken, wie das reinigt.“

Auch die Passionszeit wäre eine heilsame Zeit. Die Leid-unempfindliche Gesellschaft könne hier wieder Leid-empfindlich gemacht werden. Grün: „Eine Gesellschaft, die Leid verdrängt, wird immer brutaler. Wir meditieren das Leiden Jesu, damit unser Leiden verwandelt wird.“

Ostern feiere man die Auferstehung Jesu als Hoffnungsbild für unsere Auferstehung im Tod. Grün: „Die Weisheit der Seele weiß, dass der Tod nicht Ende ist, sondern Vollendung.“ Es wäre auch eine Aufforderung, jetzt aufzustehen „...aus dem Grab unserer Zuschauerrolle. Auferstehung an Ostern heißt, dass wir den Aufstand wagen, gegen alles, was Leben hindert.“

Lukas beschreibe Pfingsten als ein Sprachereignis, so Grün weiter. Die Kirchenväter würden sagen, mit der Sprache baue man ein Haus. Man solle ein Haus bauen, wo man aufblühen könne, wo das Herz aufgehe, wo wir uns daheim fühlten, um dann wieder hinaus zu gehen in das Leben, so Grün.

Auch das Erntedankfest wäre ein heilsames Fest, beschrieb Anselm Grün. „Die Dankbarkeit verwandelt unsere Stimmung. Wer undankbar ist, denkt nicht richtig. Jeder hat Grund, dankbar zu sein.“

An Allerheiligen komme man mit den Wurzeln in Berührung, so Anselm Grün. Wenn wir das „Vaterunser“ beteten, würden wir nicht nur die Worte Christi hören, sondern es wären auch die Worte unserer Vorfahren, die hier im Gebet ebenso Kraft und Halt bekommen hätten.

Schließlich forderte Anselm Grün seine Zuhörer am Ende seines Vortrages in der Kirche St. Medardus auf, die therapeutische Dimension der kirchlichen Feste gemeinsam mit ihm in einem Ritual erfahrbar werden zu lassen. Er forderte jeden Gast auf, das verletzte Kind in sich zu umarmen, um den inneren Raum der Stille zu erahnen, wo das göttliche Kind in uns wohne, um dort hinein ein 1600 Jahre altes Abendgebet zu sprechen. Die Zuschauer folgten ihm und erfuhren so in der Kirche St. Medardus in meditativer Stille einen besonderen Moment der Gemeinschaft mit Pater Anselm Grün.

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