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„Macht die Schranke hoch!“ – Dankesfeier zum 3. Oktober

14.10.2024

Superintendent Dr. Christof Grote (l.), Thomas Tetzlaff (Leiter Band96), Pfarrer Michael Tetzner (2.v.r) und Irmtraut Huneke gestalteten mit viele weiteren Personen die Dankesfeier (Foto: Kannenberg)
Superintendent Dr. Christof Grote (l.), Thomas Tetzlaff (Leiter Band96), Pfarrer Michael Tetzner (2.v.r) und Irmtraut Huneke gestalteten mit viele weiteren Personen die Dankesfeier (Foto: Kannenberg)

Von Iris Kannenberg

 

LÜDENSCHEID + Die diesjährige Dankesfeier zum 3. Oktober glänzte nicht nur mit beeindruckenden Beiträgen, sondern zudem mit bestem Wetter. Diesmal waren alle Gebete Richtung Himmel für eine trockene, sonnige Veranstaltung erhört worden. In den letzten Jahren war das Wetter eine stetige Zitterpartie. Meistens schüttete es „wie aus Eimern“. Einmal musste die Veranstaltung wegen einer Sturmwarnung sogar ganz abgesagt werden.

 

Der diesjährige trockene Oktobertag zahlte sich aus. Viele Menschen fanden sich auf Lüdenscheids Rathausplatz ein, um unter der Leitung von Irmtraut Huneke (1. Vorsitzende der Evangelischen Allianz Lüdenscheid / Gemeinsame Wege), Thomas Tetzlaff (2. Vorsitzender der Evangelischen Allianz Lüdenscheid) und Volker Hagedorn (FeG Börsenstraße / Gemeinsame Wege) diesen denkwürdigen Tag gebührend zu feiern.  

 

Die Gruppe hatte mehrere Zeitzeugen eingeladen, dazu den Bürgermeister der Stadt Lüdenscheid, Sebastian Wagemeyer, sowie den Superintendenten des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, Dr. Christof Grote. Die Veranstaltung wurde tatkräftig durch die Worship-Musik der Band96 unterstützt, die es verstand, die Anwesenden zum begeisterten Mitsingen und Tanzen zu motivieren.

 

Nach einigen einleitenden Worten durch Irmtraut Huneke wurde als Einstieg in die Dankesfeier Jens Brettschneider (Gemeinschaft Lobetal Lüdenscheid) mit seinem Schofar auf die Bühne gebeten. Zufällig fiel „Rosh Hashana 5785“ nämlich in diesem Jahr genau auf den 3. Oktober. Bei „Rosh Hashana“ handelt es sich um das jüdische Neujahrsfest, das an diesem Tag weltweit gefeiert wird. Zu diesem Anlass wird traditionell zur Begrüßung des neuen Jahres das Schofar geblasen, ein Widderhorn, das laute durchdringende Töne erzeugt und im „Alten Testament“ bereits mehrfach erwähnt wird.

 

Danach richtete der Bürgermeister ein Grußwort an die Anwesenden. Er ging dabei besonders auf die friedliche Revolution ein, die 1989 letztendlich zum Mauerfall führte. Sebastian Wagemeyer wurde nicht müde, zu betonen, wie wichtig Gewaltverzicht sei. Als aktuelles Beispiel nannte er die Messerstecherei auf dem Solinger Stadtfest. Sein Credo: „Gerade jetzt sind wir gefordert „nein“ zu sagen zu jeder Form von Gewalt und Spaltung. Wir müssen den Dialog auch mit den Unzufriedenen führen. Zusammenrücken und auf friedliche Lösungen von Differenzen bestehen. Wir haben schon viel komplexere Probleme gemeinsam bewältigt. Man denke nur an den Fall der Mauer. Deutschland war geteilt und wurde wiedervereinigt. Ein Wunder, das auch dadurch geschehen konnte, dass sich der damalige Widerstand zur Gewaltfreiheit verpflichtet hatte. Lasst uns daran ein Beispiel nehmen und uns gegenseitig mit Respekt und Würde begegnen.“

 

Nach dem Grußwort bat Irmtraut Huneke den ersten Zeitzeugen auf die Bühne. Pfarrer Michael Tetzner erzählte von seiner Zeit in der DDR als Christ. Von Verfolgung und dass er als bekennender Christ nicht studieren durfte. Dass er dazu berufen wurde, mit Hilfe der Evangelischen Kirche auf Umwegen Pfarrer zu werden. Berührend seine Schilderung des 9. Novembers 1989, als er inmitten der Menge stand, die rief „Macht die Schranke hoch“. Er beschrieb, wie es war, das erste Mal den Boden der BRD zu betreten. Dass eigentlich niemand so richtig glauben konnte, dass das alles wirklich passierte. Wie er sich fühlte, frei zu sein und seinen Glauben uneingeschränkt leben zu können. Heute ist Michael Tetzner Pfarrer in Dresden und hat eine Tochter, die in Lüdenscheid lebt und ihren Beruf selbst wählen durfte. Ohne Einschränkungen durch eine autoritäre Staatsdoktrin. Für ihn immer noch ein Wunder Gottes, das niemand jemals vergessen dürfe.

 

Nach Pfarrer Michael Tetzner betrat Superintendent Dr. Christof Grote die Bühne, um einen geistlichen Impuls an die Anwesenden weiterzugeben. Dr. Grote zog passend zum Tag, Parallelen zwischen dem Mauerfall und dem Auszug aus Ägypten durch das jüdische Volk: „In der Bibel steht etwas von dem, was für unser Land grundlegend ist. Sozusagen die Voraussetzung für alles andere. Dass nämlich die Würde des Menschen unantastbar ist. Deshalb unantastbar, weil sie uns von Gott zugeschrieben wird. Gleich am Anfang der Geschichte Gottes mit uns Menschen, erfahren wir von einer Begebenheit, die uns heute, am 3. Oktober hier in Deutschland mit den Menschen damals verbindet. Es handelt sich um eine Geschichte von Widerstand und Aufbruch. Eine Geschichte von Freiheit und Wundern. Die Menschen Israels lebten als Sklaven in Ägypten, unterdrückt und ausgebeutet. Ohne Rechte, ohne Zukunft. Doch sie waren mutig genug, den Exodus weg aus der Sklaverei zu wagen.

 

Dies geschah unter der Leitung von Mose, der von Gott den Auftrag dazu bekommen hatte. Israel ging im Vertrauen auf Gott und ließ Unterdrückung und Hoffnungslosigkeit hinter sich zurück. Kein einfacher Weg. Es gab immer wieder Rückschläge, immer wieder Zweifel, ob nicht früher in Ägypten doch alles viel besser gewesen sei als dieser Aufbruch ins Ungewisse. Sie gaben jedoch nicht auf, sondern setzten ihr Vertrauen allein auf Gott. Jetzt kommen wir heute nicht aus der Sklaverei Ägyptens. Wir leben nicht in Israel und auch das Vertrauen und das Hoffen auf Gott spielt heute leider eine viel geringere Rolle für die allermeisten Menschen als damals. Obwohl wir dieses Vertrauen dringend bräuchten. Eines verbindet uns jedoch mit dieser alten Geschichte bis zum heutigen Tage. Der Mut zum Aufbruch. Den Aufbruch in die Freiheit gingen die Menschen damals in der DDR ebenso, wie Israel aus Ägypten auszog. Friedlich und hoffnungsvoll. Auch 1989 ein Wagnis und immer wieder gezeichnet von Rückschlägen. Doch was für ein gelungenes Wagnis, diesen mutigen Schritt zu tun und daran festzuhalten. Der Bürgermeister hat genau davon gerade noch erzählt und Pfarrer Tetzner gab uns ebenfalls ein lebendiges Zeugnis davon, was es bedeutete, dass 1989 in Deutschland die Mauer fiel.

 

Ob nun in Israel oder Berlin, das Grundthema bleibt das gleiche: Die Befreiung aus Unterdrückung und Sklaverei. In eine Freiheit hinein, in der die Würde des Menschen unantastbar ist. Von dieser Freiheit bin ich fest überzeugt. Ebenso, dass Gott selbst uns diese Freiheit 1989 geschenkt hat, so wie er sie vor 4000 Jahren Israel schenkte.“

 

Johannes Seidel (Ev. Kreuzkirchengemeinde Lüdenscheid) war der jüngste der Zeitzeugen, der nach Dr. Grote die Bühne betrat. Er lebte damals als Kind in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz). Und beschrieb, dass seine Eltern Angst hatten, als klar wurde, dass viele ihrer Freunde an den Demonstrationen teilnahmen. Er selbst konnte sich die Aufregung, die er um sich herum wahrnahm, nur teilweise erklären. Erinnert sich jedoch auch heute noch an die Bilder im Fernsehen vom Mauerfall und das ungläubige Staunen seiner Eltern, die wie gebannt auf den Bildschirm starrten. Johannes Seidel erzählte von der großen Veränderung, die nach dem Mauerfall für die ehemalige DDR begann. An die Freiheit und das Durchatmen seiner eigenen Familie. Ganz besonders beeindruckte ihn, dass er nur ein Jahr später zusammen mit Familie, Nachbarn und Freunden bei der Fußballweltmeisterschaft die Daumen für das Team eines geeinten Deutschlands drückte. Auch für Johannes Seidel ein einmaliges durch Gott gewirktes Wunder.

 

Die Veranstaltung schloss mit einem Gebet von Irmtraut Huneke, dem gemeinsamen „Vater unser“, proklamiert von Pfarrer Michael Tetzner und dem abschließenden Segen durch den Superintendenten.

 

Die diesjährige Feier zum 3. Oktober auf dem Rathausplatz war stimmig, gut besucht und getragen durch die mitreißende Musik der Band96. Die wohl schönste Veranstaltung, seitdem das jährliche Gedenken an die Wiedervereinigung Deutschlands vor dem Rathaus der Stadt gefeiert wird. Es stimmte alles. Musik, Publikum, Redner, Botschaft und Atmosphäre. Man rief in glaubwürdiger Einheit dazu auf, den Mauerfall nicht zu vergessen, sich dessen zu besinnen, wie es war, ein getrenntes Volk zu sein und dankbar die Freiheit zu feiern, in der das deutsche Volk heute geeint leben darf.

 

Die Dankesfeier ist mittlerweile eine jährlich wiederkehrende „Institution“, organisiert von Allianz und der überkonfessionellen Gemeinschaft „Gemeinsame Wege“. Mit dem Ziel, die Erinnerung wach zu halten und an das zu erinnern, was 1989 passierte. Und dem erklärten Wunsch, niemals zu vergessen, dass die damals gewonnene Freiheit nicht selbstverständlich ist, sondern bewahrt werden will. Dies ist besonders Irmtraut Huneke ein zentrales Anliegen. „Mir ist es wichtig, dass auch die jüngere Generation daran erinnert wird, dass wir einst ein geteiltes Volk waren, das sehr unter dieser Teilung gelitten hat. Liebe, Respekt und Glauben, sind die Grundlagen dafür, dass so etwas nie wieder auf deutschem Boden möglich ist. Auch für das kommende Jahr 2025 ist bereits eine Dankesfeier geplant, um Gott für dieses einzigartige Wunder zu danken. Ich freue mich darauf, Sie dann alle wiederzusehen und gemeinsam mit uns zu feiern!“

Bildimpressionen von der Dankfeier (alle Fotos: Kannenberg)

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