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„Wir werden als Evangelische Kirche alles dafür tun, dass man sich bei uns sicher und geborgen fühlen darf“

15.11.2024

Jutta Tripp ist die Präventionskraft des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg. Zusammen mit den anderen Multiplikatoren aus dem Fachbereich des Kirchenkreises hat sie schon rund 1.700 Mitarbeitende geschult. Eine Präventionsarbeit, für die der Kirchenkreis bereits eine halbe Million Euro ausgegeben hat (Foto: Kannenberg)
Jutta Tripp ist die Präventionskraft des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg. Zusammen mit den anderen Multiplikatoren aus dem Fachbereich des Kirchenkreises hat sie schon rund 1.700 Mitarbeitende geschult. Eine Präventionsarbeit, für die der Kirchenkreis bereits eine halbe Million Euro ausgegeben hat (Foto: Kannenberg)

Von Iris Kannenberg

 

KIRCHENKREIS + Im Rahmen der „Prävention gegen sexualisierte Gewalt“ fand im Haus der Ev. Kirche des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg eine von zahlreichen Schulungen statt, die von den beiden Multiplikatoren Jutta Tripp und Stefan Schick durchgeführt wurde. Diese Schulung richtete sich mit ihren Inhalten an hauptamtlich Mitarbeitende im Bereich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die pädagogisch leitend mit Minderjährigen arbeiten.

 

Die Schwerpunktthemen umfassten u.a.: Grundlagen der Rechte von Kindern und Jugendlichen, Grenzen, Nähe und Distanz, Recht intensiv, sexualisierte Gewalt und Täter*instrategien, Prävention, Intervention, Risiko- und Potenzialanalyse sowie generell die Bestandteile eines Schutzkonzeptes.

 

Auf die Frage, welche Erfahrungen Jutta Tripp mit der Schulung der Hauptamtlichen bisher gemacht hat, antwortet sie: „Generell sind unsere Erfahrungen hier sehr gut. Es gibt natürlich immer solche, die erst einmal fragen, warum sie sich schulen lassen müssen, da sie durch ihre beständige Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowieso für das Thema sensibilisiert sind und ähnliche Präventionsschulungen zudem bereits während ihres Studiums absolviert haben. Aber nach dieser gemeinsamen und intensiven Veranstaltung, die immerhin acht Stunden dauerte, bestätigten auch diesmal alle TeilnehmerInnen übereinstimmend, dass sie auf jeden Fall etwas Neues, Wertvolles mitnehmen konnten.“

 

„Leider erleben wir sexualisierte Gewalt auf allen Ebenen und in jedem Umfeld, ob in Familien, Schulen, Vereinen oder bei kirchlichen Trägern. Sie findet überall da statt, wo Menschen zusammenkommen“, fügt Tripp an. „Von daher ist es wichtig, in Präventionsschulungen zu lernen, dass es gezielte Täter/Täterinnen-Strategien gibt, dass sie den Missbrauch teilweise von langer Hand vorbereiten. Da wird nichts dem Zufall überlassen. Wir sensibilisieren unsere Mitarbeitenden dafür, worauf man zu achten hat und wie man solche Strategien entlarvt.“

 

In den Schulungen wird zudem vermittelt, wie man kirchliche Räume mit einem Schutzkonzept sicher vor sexualisierter Gewalt machen kann. Der Kirchenkreis ist mit der Umgestaltung seiner Räume bereits seit dem letzten Jahr fertig. Gerade in diesem Bereich erfolgte die Umsetzung sehr zügig, da dies eine der wichtigsten Grundlage ist, um möglichem Missbrauch zu verhindern.

 

Auf die Frage wie die Schulungen langfristig greifen erwidert Jutta Tripp: „Das ist natürlich direkt nach einer Schulung erst einmal schwer nachzuvollziehen. Dazu ist der Zeitraum zu kurz. Eines können wir jedoch definitiv bestätigen: Die Umsetzung des Schutzkonzepts ist ein Erfolg. Die 1:1 Situationen, die es früher gegeben hat, dürfen nicht mehr stattfinden und falls es doch einmal dazu kommt, weil z.B. ein Kind nicht rechtzeitig abgeholt werden kann, wird sofort Transparenz geschaffen. Personensorgeberechtigte werden entsprechend informiert und es wird kein Kind, generell kein Mensch gleich welchen Alters, z. B. allein im Auto mitgenommen oder bleibt mit einer einzelnen Person in der Kirche zurück.“

 

„Früher waren 1:1 Situationen, also, dass Mitarbeitende mit Kindern und Jugendlichen allein waren, weil sie sie beispielsweise nach Hause gefahren haben, durchaus üblich und verständlich“, erklärt Tripp weiter. „Wir leben hier im ländlichen Bereich. Ich selbst wohne in Plettenberg in einem Außenbezirk. Meine Kinder wären auch nirgends hingekommen, wenn sie nicht mitgenommen worden wären. Eltern können schon aufgrund ihrer Arbeitssituation ihre Kinder nicht immer bringen und abholen. Da musste man nun eben entsprechend überlegen und mitdenken, damit gerade das Ankommen und Abholen geregelt ist und man dafür gute und sichere Lösungen schafft. Falls der Fall eintritt und ein Kind am Ende alleine da ist, müssen nach dem neuen Schutzkonzept die Personensorgeberechtigten angerufen und informiert werden. Solche Vorgaben geben wir an die MitarbeiterInnen weiter. So dass man weiß, wie man angemessen zu reagieren hat. Für den Schutz aller, ist es wichtig, alle Betroffenen mit in die Situation hineinzunehmen. Dann kann eigentlich nichts passieren.“

 

Wie reagieren denn die Jugendreferenten und sonstige Kinder- und Jugendmitarbeitenden darauf? Sind die jetzt nicht generell in einer potenziellen Täter-Position? Wie gehen die Mitarbeitenden damit um, wenn sie in solch einer Schulung sitzen und ihnen gewahr wird, dass sie ganz persönlich damit gemeint sein könnten, wenn man von potenziellen Tätern spricht. Reagieren sie da nicht mit Unverständnis und fühlen sich verletzt?

 

Jutta Tripp verneint: „Das Gegenteil ist der Fall. Das ganze Präventionskonzept dient ja auch dem Schutz der Mitarbeitenden. Es kann immer dazu kommen, dass man falsch verdächtigt wird. In der Schulung lernt man daher auch, wie man sich bereits - ehe es zu einer verfänglichen Situation kommt - verhält, damit es erst gar nicht zu einer falschen Verdächtigung kommen kann. Daher entwickeln die Mitarbeitenden sehr schnell ein gutes Gefühl dafür, dass sie jetzt viel besser abgesichert sind. Dass die neuen Schutzregeln ihnen viel mehr Sicherheit geben und wir alles dafür getan haben, dass es den uns anvertrauten Menschen, aber auch unseren Mitarbeitenden gut geht. Auf beiden Seiten ist der Schutz wichtig und umfassend gewährleistet. Wenn man sich an die Regeln hält. Es geht bei dem neuen Konzept zudem nicht nur um Minderjährige, sondern natürlich auch um Erwachsene. In diesem Bereich gibt es ebenfalls solche, die besondere Einschränkungen haben, so dass in irgendeiner Weise ein Machtgefälle entstehen könnte. Auch da schauen wir jetzt sehr genau hin.“

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die umfangreiche Schulung erfolgreich absolviert. Dafür erhielten sie am Ende ihre Zertifikate. Die hauptamtlich Mitarbeitende im Bereich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wurden nicht nur selbst im Bereich der ‚Prävention gegen sexualisierte Gewalt‘ geschult, sondern können dieses Fachwissen nun in ihren Kirchengemeinden und Einrichtungen auch weitervermitteln (Foto: Kannenberg)
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die umfangreiche Schulung erfolgreich absolviert. Dafür erhielten sie am Ende ihre Zertifikate. Die hauptamtlich Mitarbeitende im Bereich der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wurden nicht nur selbst im Bereich der ‚Prävention gegen sexualisierte Gewalt‘ geschult, sondern können dieses Fachwissen nun in ihren Kirchengemeinden und Einrichtungen auch weitervermitteln (Foto: Kannenberg)

Jeder kann in die Situation kommen, mit Missbrauch direkt konfrontiert zu werden. Dafür zu sensibilisieren, Missbrauch zu erkennen, nicht wegzusehen und Zivilcourage zu zeigen ist ein weiteres erklärtes Ziel der aufwendigen Schulungen. Die Präventionsbeauftragte bestätigt: „Gerade die Sensibilisierung für das jeweils direkte Umfeld erleben wir alle als positiv. Die Teilnehmenden der Schulungen werden oft sehr nachdenklich und sind dankbar, das komplexe Thema sexualisierte Gewalt in dieser Tiefe besprochen zu haben. Sie gehen aus den Schulungen heraus mit dem beruhigenden Wissen, das sie Werkzeuge an die Hand bekommen haben, die ihnen als Mitarbeitende Sicherheit geben. Das gilt selbst für diejenigen, die nur eine kleinere Tätigkeit innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft ausüben. Es kommt in der Kirche eben auf alle an, die beobachten können.“

 

„Ich denke, genau das unterscheidet uns gegenüber der Zeit vor den neuen Schutzkonzepten“, zeigt die Präventionsbeauftragte auf. „Es geht natürlich nicht darum, sich gegenseitig unausgesetzt zu beobachten. Uns ist das Thema ‚Nähe und Distanz‘ einfach wichtig und im Kirchengesetz verankert. Wie geht man damit um? Dazu gehört, den anderen in seiner Eigenentscheidung zu respektieren. Zum Beispiel wenn man „nein“ zu einer Umarmung sagt. Erst zu fragen, ob der andere körperliche Nähe möchte und sei es nur für eine kurze Umarmung. Dieses Fragen muss Standard werden. Auch das ist ein nicht unerheblicher Teil des neuen Kirchengesetzes zum Schutz vor sexualisierter Gewalt: Wie gehen wir generell miteinander um?“

 

Die Erfahrungen aus den ersten Schulungen zeigen, dass es gerade in diesem Punkt viele Vorbehalte gegeben hat. Es kamen Fragen auf, ob man sich jetzt nicht mehr in den Arm nehmen dürfe. Darum geht es aber gar nicht, sondern darum, zu akzeptieren, wenn jemand gerade das eben nicht will. Und denjenigen dann nicht anders zu behandeln, weil man sich vielleicht abgelehnt fühlt. Weil es nichts mit Ablehnung zu tun, sondern jeder seine ganz eigene persönliche Schutzzone hat.

 

Bei allem begegnet den Präventionsbeauftragten und Multiplikatoren des Kirchenkreises viel Verständnis. „Wir sind dankbar, dass wir so engagierte Mitarbeitende haben. Ihre vorbildliche Haltung macht uns als Fortbildenden viel Mut, weil die neuen Schutzkonzepte spürbar ernst genommen und mit viel persönlichem Engagement umgesetzt werden“, berichtet Tripp.

 

Auch von Seiten der Eltern und Erziehungsberechtigten wird die Präventionsarbeit begrüßt. Jutta Tripp ist positiv gestimmt, dass das Präventionskonzept greift. Im Sommer 2021 wurde damit begonnen. Mittlerweile sind rund 1.700 Mitarbeitende geschult worden. Ein Engagement, die dem Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg – im wahrsten Sinne des Wortes – viel wert ist. Bis heute hat der heimische Kirchenkreis bereits eine halbe Million Euro in seine Präventionsarbeit investiert.

 

Es ist spür- und erlebbar, dass sich dieses Engagement aber auszahlt. Die Präventionsbeauftragte freut sich über die bereits sichtbaren Erfolge: „Wir erleben nicht nur sehr engagierte Teilnehmer bei unseren Schulungen, sondern einen veränderten Umgang mit diesem wichtigen Thema. Die Teilnehmer sind deutlich aufmerksamer und sensibler b ei diesem wichtigen Thema in ihrer Arbeit. Und sie haben nun viel mehr Fachwissen, um richtige Entscheidungen treffen zu können. Damit kommen wir bei in dem gesamten Thema ‚Prävention gegen sexualisierte Gewalt‘ spürbar weiter. Natürlich muss man vieles erst einmal im täglichen Miteinander ausprobieren. Manches des ursprünglichen Konzeptes hat sich dabei als besonders gut, manches als noch nicht optimal in der Umsetzung erwiesen. Wir müssen immer mal wieder Änderungen vornehmen, die sich aufgrund rechtlicher Gegebenheiten oder aus den Alltags-Erfahrungen unserer Mitarbeitenden mit dem Schutzkonzept ergeben. Bei der Sondersynode unseres Kirchenkreises erfolgten so auch einige wichtige Anpassungen, die man auf unserer Internetseite nachlesen kann und die wir zudem aktiv an die Öffentlichkeit kommuniziert haben.“

 

Von daher bleibt die Präventionsarbeit insgesamt ein fortlaufender Prozess, wie Jutta Tripp klar macht: „Alles in allem machen wir eine gute Arbeit, auch deshalb, weil wir erfahrene Fachleute in unserem Team haben, die aus unserem Kirchenkreis heraus besetzt worden sind. Sie machen ihre Arbeit mit viel Herzblut und entwickeln passende, individuelle Vorgaben für die vielen verschiedenen Berufsgruppen, die unter dem Dach der Kirche zusammenkommen. Wir werden als Evangelische Kirche auch weiterhin alles dafür tun, dass man sich bei uns sicher und geborgen fühlen darf. Dafür stehen wir nicht nur als Schulungs-Teams, sondern generell als kirchliche Mitarbeitende für die vor uns liegende Zukunft voller Überzeugung und Engagement ein.“

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