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Der neue Vikar in Werdohl: Andreas Hoenemann
22.11.2019
KIRCHENKREIS / WERDOHL + Andreas Hoenemann ist seit Oktober der neue Vikar der Evangelischen Kirchengemeinde Werdohl. Er ist einer von vielen jungen Menschen, die seit einiger Zeit wieder Pastor werden wollen. Nach einem Tief, in dem die Gemeinden schrumpften und viele Kirchen geschlossen wurden, scheint es jetzt einen neuen Aufbruch innerhalb der Kirchen zu geben. Die theologischen Seminare sind voll. Junge Menschen lassen sich ganz neu begeistern für den Glauben und die untrennbar damit verbunden Arbeit und Gemeinschaft mit Menschen jedes Alters und mit jedem nur denkbaren persönlichen Hintergrund. Zum Interview mit Iris Kannenberg kam Andreas Hoenemann, gemeinsam mit seinem Mentor und Pastor Dirk Grzegorek, nach Lüdenscheid. Im 'Haus der Evangelischen Kirche', dem Sitz des Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg, folgte ein sehr interessantes Gespräch über Mentoren, Ausbildungspfarrer, Motivation und einen Glauben, der ganz offensichtlich trägt und mit jedem von uns ganz persönlich zu tun hat.
Iris Kannenberg: Hallo Zusammen! Bitte stellt Euch kurz unseren Lesern doch am Anfang kurz vor.
Andreas Hoenemann (AH): Ich heiße Andreas Hoenemann und komme ursprünglich aus Minden. Ich bin 26 Jahre alt.
Dirk Grzegorek (DG): Ich heiße Dirk Grzegorek, bin Pfarrer der Friedenskirche in Werdohl und 52 Jahre alt. Die Kirchengemeinde Werdohl hat zwei evangelische Kirchen. Ich bin schwerpunktmäßig für die Friedenskirche zuständig.
Andreas, wie verschlägt es einen jungen Menschen aus Minden nach Werdohl? Das ist ja schon eine Herausforderung.
AH: Ich habe in der Kreuzkirche in Lüdenscheid mein Praktikum gemacht. Vier Wochen, die mir unheimlich gut gefallen haben. Das war dann auch mein einziger Anhaltspunkt zu dem Ort, den ich mir für mein Vikariat aussuchen konnte. Meine Heimatstadt kam dafür nicht in Frage. Dort kennt man mich von Kindesbeinen an. Ich wollte aber irgendwo hin, wo mich eben keiner kennt. Einfach, um mich weiterzuentwickeln. Diese Freiheit habe ich mir in dem Fall genommen.
Du bist aber nicht nach Lüdenscheid gekommen, sondern in die Kleinstadt Werdohl mit ihren knapp 18.000 Einwohnern. Hat Dich das erschreckt?
Ah: Nein, tatsächlich überhaupt nicht. Ich hab von unserem Superintendenten Klaus Majoress Anfang Juli einen Anruf bekommen, in dem er mir erzählte, dass es sich bei der Friedenskirche um eine Gemeinde mit missionarischem Gemeindeaufbau handelt. Und da ich ein Jahr lang an der Uni in Greifswald war, die gerade dieses Thema sehr stark behandelt, hatte mich diese Ausrichtung eh schon begeistert. Ich hab mir dann die Webseite der Kirche in Werdohl angeschaut und auch das hat mich total angesprochen.
Was genau hat Dich denn so begeistert? Was bedeutet das „missionarische Ausrichtung“?
AH: Missionarisch bedeutet erst einmal, selber darum zu wissen, dass man von Christus zu einer Beziehung zu ihm eingeladen ist. Und aus dieser persönlichen Erfahrung heraus den großen Wunsch verspürt, auch andere Menschen zu dieser Beziehung einzuladen. Ich erfahre die Liebe Gottes ja selbst 1:1 und jeden Tag. Und möchte einfach, dass auch andere sie erleben dürfen.
Zwei sehr moderne Typen. Pastor Dirk Grzegorek und Vikar Andreas Hoenemann vor dem 'Haus der Evangelischen Kirche', dem Sitz des Ev. Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg, in Lüdenscheid (Foto: Kannenberg)
Wie siehst Du das, Dirk? Ist Eure Gemeinde so, wie Euer junger Vikar sich das wünscht?
DG: Ich muss immer aufpassen, da ich über eine Gemeinde spreche, die mitpräge. Aber ich kann definitiv sagen: Mein Herz schlägt schon genau für dieses Thema. Und das ist auch etwas, das mich motiviert, Pastor sein zu dürfen. In einer Berufung für Christus zu den Menschen unterwegs zu sein. Mit all den niederschwelligen Angeboten, aber auch mit echtem Tiefsinn und nicht mit Oberflächlichkeit. Mit der besten Botschaft, die ich für mein Leben hören durfte, zu den Menschen zu gehen. Das ist mein persönlicher Auftrag als Pastor. So definiere ich mich. Das ist meine Berufung. So versuche ich auch, meine Gemeinde zu leiten. Mit vielen, vielen Ehrenamtlichen, mit vielen Menschen, die sich nicht um mich herumscharren, sondern mit denen ich als Pastor unterwegs sein darf. Und das ist der Weg, auf den ich Andreas Hoenemann als Vikar mitnehmen kann, damit er genau das auch erleben darf. Da sind wir schon eine Gemeinde, die ihren Glauben und den missionarischen Weg lebt. Und sehr lebendig ist. Ja, unbedingt.
Was ist eigentlich ein Vikar?
AH: Das ist einfach ein Pfarrer in der Ausbildung.
Ist das so etwas wie das Referendariat bei Lehrern?
AH: Kann man so definieren. Ich habe ja schon bis zum ersten Staatsexamen studiert. Ich würde daher sagen, das Vikariat ist so etwas wie ein Praxisjahr. Bzw. Jahre, da es über zwei Jahre geht. In dieser Zeit habe ich die Möglichkeit der Orientierung. Mein späteres Aufgabenfeld ist ja noch nicht klar umrissen, sondern ich probiere noch vieles aus. Lerne es kennen. Durch das Mentoring meines verantwortlichen Pastors kann ich mich an neue Aufgabengebiete herantrauen, in Gesprächen mich selbst reflektieren, kann lernen und auch Fragen stellen, wenn ich selbst nicht so genau weiß, wie ich meine Aufgaben umsetzen soll. Dirk ist ja in der ganzen Zeit an meiner Seite. Korrigiert mich, hilft mir und gibt mir die Gelegenheit in alle Bereiche, die mit einem Theologiestudium möglich sind auch einmal direkt reinzuschnuppern.
Wird man geprägt von seinem Mentor?
AH: Das kommt immer darauf an, inwiefern man das zulässt. Aber generell kann ich mir das sehr gut vorstellen.
DG: Ich denke schon, dass es wichtig ist, gemeinsam eine geistliche Weggemeinschaft zu bilden zwischen Mentor und Vikar. Das nennt man das Mentoring-Prinzip und ist das, was wir von der Landeskirchlichen Ebene auch sein dürfen für die Vikare. Grundsätzlich ist das Vikariat die Ausbildungsphase zwischen dem ersten und zweiten Staatsexamen. Man kann sich ausprobieren und wird gecoacht, ohne direkt in der ersten Reihe stehen zu müssen. Man darf sich dann später entscheiden. In der Regel bekommt man eine Gemeindepfarrstelle. Es gibt aber auch die Gefängnisseelsorger oder die Seelsorger im Krankenhaus. Das nennt man Funktionspfarrstellen. Die aber leider gerade eher abgebaut werden.
Wie lange dauert generell so ein Theologiestudium, wenn man Pastor einer Gemeinde werden will.
AH: Schon ziemlich lange. Mit Vikariat in der Regel acht Jahre. Das Studium beinhaltet ja auch das lernen der Sprachen, in denen die Bibel ursprünglich verfasst wurde. Hebräisch und Alt-Griechisch gehören dazu. Aber auch Latein. Dazu kommen Kirchengeschichte und das Studium des Alten und Neuen Testamentes und vieles mehr.
Warum wirst Du Pastor? Eine Zeitlang hatte die evangelische Kirche ja echte Nachwuchssorgen. Aber jetzt scheint es so, dass sich wieder viele junge Menschen dazu berufen fühlen, Theologie zu studieren. Kommst Du aus einem christlichen Hintergrund?
AH: Ja, ich komme aus der Landeskirchlichen Gemeinschaft Minden. Bin dort groß geworden und war auch Mitarbeiter in der Jugendarbeit und in verschiedenen Arbeitskreisen. Ich habe das enge Miteinander dort sehr geschätzt und hab es auch immer als etwas sehr besonderes empfunden. Trotzdem gab es auch Hürden für meine Entscheidung, Theologie zu studieren. Ich hab mich selbst sehr reflektieren müssen. Was sind meine wirklichen Gründe, Pastor werden zu wollen? Will ich mich nur selbst darstellen, eine gewisse Machtposition inne zu haben oder ist es ein echter „Ruf“? Das waren Fragen an mich selbst, die ich mir ehrlich beantworten musste. Und mich dafür auch mit mir und meiner Motivation kompromisslos auseinander gesetzt habe. Letztendlich ist mir klar geworden, dass der Grund, das pastorale Amt als Karriereleiter zu benutzen, komplett ausscheidet. Wäre das meine Motivation gewesen, wäre ich schlicht und einfach nicht geeignet als Pastor. Ich wollte den wirklich, echten Herzensruf. Und habe ihn tatsächlich auch bekommen.
DG: Das ist ja gerade die große Herausforderung vor der Entscheidung, Pastor zu werden. Ich kann eine schöne fromme Geschichte erzählen und mir einen entsprechenden Lebenslauf zusammenbasteln, einfach um Erfolg zu haben und Anerkennung zu bekommen. Aber das wäre falsch. Meiner Meinung nach, muss ein Pastor, der wirklich Erfolg haben will, authentisch sein. Und sehr, sehr ehrlich. Sich selbst gegenüber und gegenüber seiner Gemeinde. Ansonsten hat man seine Berufung komplett verfehlt.
Andreas, was macht Deinen Glauben aus, dass er so interessant ist, dass man sogar Pastor werden möchte? Was ist attraktiv an dem Beruf?
AH: Die Frage ist ja nicht, was bringe ich selbst mit. Sondern, was gibt mir der Glauben. Was bedeutet er mir in meinem persönlichen Leben? Was steht sich da gegenüber? Zuerst einmal der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und der eine innige Beziehung zu uns haben will. Ich kann ihm mein Leben anvertrauen. Das ist so ein Trost. Gerade heutzutage, wo viele Menschen so verängstigt und hoffnungslos sind. Keine Orientierung mehr finden in einer zunehmend kälteren Gesellschaft. Man bekommt durch den Glauben eine andere Brille fürs Leben. Wenn ich an einen persönlichen Gott glaube, der mit mir Beziehung führen will, dann berührt das mein ganzes Leben. Ich bin nicht mehr allein. Egal wann und wo. Da ist jemand, auf den ich mich zuverlässig und hoffnungsvoll verlassen kann. Der mich nicht ablehnt oder abwertet. Das möchte ich auch gerade jungen Menschen weitergeben.
Hat das auch etwas mit dem eigenen Selbstwert zu tun?
AH: Ja, schon. Ich finde es beeindruckend, welchen Wert dem Menschen durch Jesus zugesprochen wird. Jesus ist, ob man gläubig ist oder nicht, eine herausstechende Person. Er ist etwas Besonderes. Ein Vorbild. Gerade junge Menschen zweifeln oft an ihrem eigenen Wert. Die Worte Jesu: „Ich nehme Dich genauso an, wie Du bist und möchte, dass Du mir nachfolgst“, haben mich selbst tief berührt. So etwas gibt es eigentlich in keiner anderen Religion in dieser Ausprägung. Überall muss man etwas leisten, etwas tun, sich unheimlich anstrengen, um Gott zu gefallen. Bei Jesus ist das nicht so. Er ist bereit, mit uns gemeinsam unseren Lebensweg zu gehen. So wie wir sind. In all unserer Schwachheit und Bedürftigkeit. Das finde ich so besonders. Mich trifft das immer wieder genau ins Herz. Und das möchte ich an meine Generation weitergeben. Und an die noch jüngeren. Die Angst haben in einer Welt, die gerade anscheinend komplett auseinanderbricht. Ich möchte ihnen mitgeben, dass sie getragen sind, wertvoll und einzigartig. Und gebraucht. Es wäre schön, wenn wir lernen könnten, aus dieser geschenkten Liebe heraus zu leben. Uns selbst zu mögen und dadurch auch die Mitmenschen um uns herum.
Abschließen gefragt: Auf was freust Du Dich in Werdohl? Was gefällt Dir an der Stadt?
AH: Insgesamt sind die Menschen hier sehr aufgeschlossen und offen. Zudem ist es schön, dass Werdohl so viel zu bieten hat. Man hat alles an einem Fleck. Natur, ein Fluss, eine schöne kleine Innenstadt, in der man noch alles bekommt, was man braucht. Ich habe einen sehr positiven Grundeindruck und bin froh, dass es mich gerade hierhin verschlagen hat. Meine Gemeinde gefällt mir zudem sehr und natürlich mag ich meinen Mentor und Pastor Dirk, mit dem ich gute Gespräche führe und der mir in dieser kurzen Zeit schon viel beigebracht hat. Die Arbeit hier ist sehr abwechslungsreich, umfasst den Unterricht an der Schule im Fach Religion ebenso wie den pastoralen Dienst, Seelsorge, Jugend- und Seniorenarbeit. Ich darf überall mal reinschnuppern, aber auch Impulse geben, Projekte vorantreiben und für die Gemeinde mit entwickeln.
Ich hoffe sehr, Freunde zu finden. Lüdenscheid ist auch nicht weit, da kenn ich ja bereits einige Menschen. Erst einmal bin ich sehr gespannt, was mich hier erwartet. Ich will unbedingt die Werdohler und ihre Stadt besser kennenlernen. Werdohl und ich, das passt einfach und ich freue mich ehrlich auf die Zeit, die ich hier verbringen werde!
Dann wünsche ich für diesen Weg alles Gute und Gottes reichen Segen! Vielen Dank für das Gespräch!