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Über Kirchenkreise hinweg?

17.5.2023

Die Gemeindeversammlung in Neuenrade diente dazu, das Stimmungsbild unter den Neuenrader Gläubigen aufzufangen. Beschlossen wurde nichts. Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen trifft das Presbyterium. (Foto: Michael Koll)
Die Gemeindeversammlung in Neuenrade diente dazu, das Stimmungsbild unter den Neuenrader Gläubigen aufzufangen. Beschlossen wurde nichts. Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen trifft das Presbyterium. (Foto: Michael Koll)

NEUENRADE + Immer wieder fragte Pfarrer Dieter Kuhlo-Schöneberg zum Schluss der zweistündigen Gemeindeversammlung im evangelischen Gemeindehaus in der Altstadt, ob die gut 50 Anwesenden einverstanden wären mit den zuvor skizzierten Plänen. Doch niemand meldete sich zu Wort. Die Gläubigen im Saal wirkten erschlagen und schienen das Gehörte erst einmal verdauen zu müssen.


120 Minuten zuvor hatte Kuhlo-Schöneberg die Versammlung mit bedeutungsschweren Worten eingeleitet: "Wir haben jetzt drei Jahre hinter uns, in denen immer wieder viel Furcht gesät worden ist", deutete er Erinnerungen an die Covid19-Pandemie an. Dann sagte er: "Und seit einem Jahr haben wir nun auch noch den Krieg in der Ukraine."


Der Pfarrer leitete über zum Thema des Abends: die weitere Entwicklung des protestantischen Lebens vor Ort. "Besonnenheit in dem Sinne, dass man sich von Gott einen Sinn geben lässt, ist mittlerweile wahnsinnig unmodern", bedauerte er. "Die Gemeindemitgliederzahlen gehen runter. Erwartet wird künftig ein Rückgang von 2,5 Prozent pro Jahr." Kuhlo-Schöneberg verdeutlichte: "Dann ist in 40 Jahren keiner mehr von uns da." Aktuell zähle die Gemeinde in Neuenrade kaum noch 3500 Menschen.


Doch die evangelische Kirche habe nicht nur ein Problem auf Seiten der Mitglieder, sondern auch in Bezug auf das Personal. Er selbst gehe zum 1. März 2027 in den Ruhestand, verriet der Pfarrer. Nachwuchs aber sei kaum noch in Sicht. Freiwerdende Stellen könnten kaum noch besetzt werden.
Zunächst sei deshalb geplant gewesen, mit Werdohl eine pfarramtliche Verbindung einzugehen. Doch die Protestanten dort strebten ausschließlich einen Kooperationsraum an. Deshalb fassten die Neuenrader nun eine pfarramtliche Verbindung mit Dahle und Evingsen ins Auge. Die beiden Altenaer Stadtteile sind eine solche Verbindung bereits vor 12 Jahren eingegangen. Zusammen mit Neuenrade verfügten sie - Stand heute - über rund 5500 Mitglieder. "Somit könnten wir Gemeinden wie Werdohl oder Plettenberg auf Augenhöhe begegnen", formulierte Kuhlo-Schöneberg.

Zu Gast war am Dienstag Uwe Krause, Pfarrer in der Dahle und Evingsen. Er warb für die Idee einer pfarramtlichen Verbindung in der Dreierkonstellation. (Foto: Michael Koll)
Zu Gast war am Dienstag Uwe Krause, Pfarrer in der Dahle und Evingsen. Er warb für die Idee einer pfarramtlichen Verbindung in der Dreierkonstellation. (Foto: Michael Koll)

Zu Gast war am Dienstag Uwe Krause, Pfarrer in der Dahle und Evingsen. Er warb für die Idee einer pfarramtlichen Verbindung in dieser Dreierkonstellation: "Ja, das wäre eine Vereinigung über zwei Kirchenkreise hinweg", war er sich bewusst. Doch die Veränderungen der kommenden Jahre würden womöglich auch zu Fusionen von Kirchenkreisen führen "und dann sind wir drei vielleicht bald schon die Mitte eines neu zugeschnittenen Kirchenkreises". Krause unterstrich: "Wir müssen derzeit an vielen Enden kreativ sein. Und alles, was wir momentan ausloten, wird nicht für die Ewigkeit sein."


Kuhlo-Schöneberg erklärte: "Würden wir allein mit Werdohl einen Kooperationsraum bilden, hätten wir, wenn ich in Rente gehe, nur noch einen Pfarrer - und zwar Dirk Grzegorek in Werdohl. Neuenrade hätte keinen mehr."


Deshalb sei es vielmehr angedacht, einen Kooperationsraum größer zu denken - und zwar nach der pfarramtlichen Verbindung mit Dahle und Evingsen als zweiten Schritt nicht nur mit Werdohl, sondern auch mit Plettenberg und gegebenenfalls auch mit Herscheid. "Die Herscheider allerdings tendieren derzeit vielmehr in Richtung Meinerzhagen", wusste der Pfarrer.


Ein erstes Gespräch über einen derartigen Groß-Kooperationsraum habe im Februar bereits stattgefunden. Kuhlo-Schöneberg erläuterte: "Ein solches Konstrukt sichert mehr Stellen für Pfarrer einerseits, aber auch für Hauptamtliche - etwa in der Verwaltung - andererseits." Sein Kollege Krause pflichtete ihm bei: "Es bietet eine verlässliche Perspektive" mit - nach heutigen Stand - gut 20.000 Mitgliedern.


Doch der Seelsorger aus Altena, der übrigens Ende 2032 ebenfalls in den Ruhestand wechselt, weiß: "Wir haben viele Gemeindemitglieder, die aus guter Tradition bei uns sind, aber nicht, weil sie eine geistliche Verbindung zu uns verspüren."


Die Gemeindeversammlung am Dienstag diente lediglich dazu, das Stimmungsbild unter den Neuenrader Gläubigen aufzufangen. Beschlossen wurde nichts. Eine Entscheidung über das weitere Vorgehen trifft das Presbyterium.

In das Thema des Abends führte Pfarrer Dieter Kuhlo-Schöneberg ein: die Entwicklung des protestantischen Lebens vor Ort. (Foto: Michael Koll)
In das Thema des Abends führte Pfarrer Dieter Kuhlo-Schöneberg ein: die Entwicklung des protestantischen Lebens vor Ort. (Foto: Michael Koll)

Dabei müssten die Entscheidungsträger aber auch das Geld im Blick haben. Denn zum einen flössen immer weniger Kirchensteuereinnahmen, zum anderen behalte der Kirchenkreis von den Gemeinden umfangreiche Mittel für den Klimaschutz ein. Ein Teil dieser Gelder sei zuletzt etwa genutzt worden, um in Affeln auf dem Imberg 15.000 Bäume wiederaufzuforsten. Und zum Dritten planten die Protestanten in Neuenrade, die Kindertagesstätte Am Semberg umfangreich zu erweitern.
Konkret sei vorgesehen, die Kita über sechs Monate umzubauen. Während dieser Zeit müssten die Mädchen und Jungen in das Gemeindehaus umziehen. "Wir hoffen, im Sommer mit der Renovierung starten zu können." Für die Baumaßnahmen sei ein Kostenrahmen von "knapp mehr als einer Million Euro" vorgesehen. Trotz aller erhofften Fördergelder "muss die Gemeinde rund ein Drittel der Summe selbst tragen". ©mk

In einer pfarramtlichen Verbindung kooperieren alle Teilgemeinden punktuell miteinander, behalten aber auf jeden Fall ihre Eigenständigkeit. Für jede Gemeinde wird separat ermittelt, wie viele Pfarrstellen beispielsweise ihr zustehen. Der Erhalt der Eigenständigkeit aller Beteiligten ist bei einem Kooperationsraum auch denkbar. Doch werden in einem solch engen Zusammenschluss die Zahlen der Gemeindemitglieder addiert, um den Personalschlüssel zu ermitteln. Geben in einem Kooperationsraum die beteiligten Gemeinden ihre Eigenständigkeit auf, wird letztlich von einer Fusion gesprochen.

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