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„Gott sein Dank“ – Dankesfeier zum 3. Oktober bereits das dritte Mal in Lüdenscheids Innenstadt

11.10.2023

Iris Kannenberg als Zeitzeugin (4.v.l.) und Irmtraut Huneke (3.v.l.) als 1. Vorsitzende der Evangelische Allianz Lüdenscheid gestalteten mit die Dankesfeier mit (Foto: EKKLP)
Iris Kannenberg als Zeitzeugin (4.v.l.) und Irmtraut Huneke (3.v.l.) als 1. Vorsitzende der Evangelische Allianz Lüdenscheid gestalteten mit die Dankesfeier mit (Foto: EKKLP)

Von Iris Kannenberg

 

KIRCHENKREIS + Am 3. Oktober 2023 lud die Evangelische Allianz Lüdenscheid unter dem Vorsitz von Irmtraut Huneke - gemeinsam mit der ökumenischen Initiative „Gemeinsame Wege“ - bereits zum dritten Mal zu einer „Dankesfeier zum Tag der Deutschen Einheit“ auf den Lüdenscheider Rathausplatz ein. An diesem Tag mit dabei: Ralf Schwarzkopf (MdL CDU), Klaus Majoress (Superintendent i.R.), Pfarrer Claus Optenhöfel (Katholische Kirchengemeinde St. Medardus), Hella Goldbach (Christlich-Jüdische-Gesellschaft Lüdenscheid) und ich selbst, Iris Kannenberg (Evangelische Kreuzkirche Lüdenscheid).

 

Die musikalische Gestaltung der Dankesfeier übernahm auch in diesem Jahr die Band96. Leider spielte das Wetter nicht mit: Der Wind pfiff von allen Seiten und es schüttete in Strömen vom Himmel herab. Dennoch fanden sich Unverdrossene auf dem Rathausplatz ein, ausgestattet mit Regenjacken und Schirmen, und trotzten dem Wetter durch die komplette Veranstaltung hindurch. Sie waren an diesem Tag meine persönlichen Helden und Heldinnen. Wir RednerInnen durften zumindest auf der Bühne Zuflucht suchen. Das Publikum hingegen war eineinhalb Stunden Regen und Wind ausgesetzt und feierte trotzdem fröhlich mit.

 

Nachdem Irmtraut Huneke die Dankesfeier eröffnet hatte, sang man gemeinsam das erste Lied mit der Band96. „Lobet den Herrn“ in einer rockigen Version, die zum Tanzen animierte. Klaus Majoress lobte die Band: „In so einer Version habe ich dieses Lied zwar noch nie gehört, aber jetzt ist mir wieder warm. Danke dafür!“. Die Allianz-Vorsitzende bat dann Ralf Schwarzkopf für ein Grußwort der Stadt auf die Bühne. Dieser sendete Grüße und Dank von Stadt, Kreis und Land und wies darauf hin, dass das Wunder des Mauerfalls nur durch Gottes Eingreifen möglich gewesen sei. Er segnete die Anwesenden, wünschte ihnen Gottes Bewahrung und sprach seine Hoffnung aus, dass auch im nächsten Jahr wieder eine Dankesfeier möglich wäre. Dann hoffentlich um einiges trockener.

 

Nach Ralf Schwarzkopf kam ich selbst an die Reihe, da ich als Zeitzeugin geladen war. Ich bin in Thüringen geboren, in Schmiedefeld am Rennsteig. Meine Mutter und ich waren die ersten Personen, die legal nach dem Mauerbau ausgereist sind. Das ist historisch belegt. Was ich erzählte, war kurzgefasst folgendes:

 

"1959 lernten sich meine Eltern bei einem gemeinsamen Ost/West-Kulturveranstaltung in meinem Heimatdorf Schmiedefeld am Rennsteig /Thüringen kennen. Da war meine Mama 16 Jahre alt und mein Papa 24. Er kam aus dem Westen, genauer gesagt aus Essen. Schon bald war den beiden klar, dass sie zusammenbleiben wollten. Als meine Mutter volljährig wurde, beantragte sie einen Ausreiseantrag. Im April. Und obwohl ja „niemand die Absicht hatte, eine Mauer zu bauen“, stand diese am 13. August 1961 und niemand kam mehr aus der DDR heraus. Mein Vater beantragte daraufhin, in die DDR ziehen zu dürfen, was abgelehnt wurde.

 

Meine Mutter wollte unbedingt legal ausreisen, weil sie dann wieder zu ihrer Familie hätte einreisen dürfen. Sie wollte nicht flüchten. Man sagte ihr, ja, das sei möglich, wenn sie verheiratet wäre. Also haben meine Eltern 1961 in Schmiedefeld geheiratet. Als meine Mutter nun gehen wollte, erklärte man ihr, sie müsse dazu mindestens schwanger sein. Meine Mutter wurde schwanger. Dann hieß es, sie müsste erst ihre Ausbildung zu Ende machen. Sie machte ihre Ausbildung zu Ende.

 

Am 4. April 1962 wurde ich geboren. Vier Wochen später bekam sie die Ausreisegenehmigung. Für genau einen Tag, den 15. Mai. Wenn sie dann nicht ausreisen würde, wäre diese Möglichkeit ein für alle Male erloschen. Meine Eltern ließen alles stehen und liegen und mein Vater reiste am 14. Mai in die DDR, um uns abzuholen. Er hatte ein Visum für 24 Stunden und ein verbeultes Gesicht, weil er in der ganzen Aufregung auch noch einen Unfall gebaut hatte. Sein VW-Käfer wurde vollgepackt und los gings.

 

Am 15. Mai standen die beiden mit mir an der Grenze, bereit zur Ausreise. Dort wurde ihnen gesagt, dass meine Mutter ausreisen dürfe, aber ich nicht. Man würde mich zurück in mein Dorf bringen. Meine Mutter war entschlossen: „Nur über meine Leiche“, da sie wusste, dass ich dort nicht ankommen würde. Sie hätte mich niemals allein gelassen.

 

Mein Vater erzählte: „Ich war völlig verzweifelt. Für ungefähr eine Minute stand ich genau gegenüber einem Grenzsoldaten mit einem Gewehr auf dem Arm. Ich überlegte, ob ich ihm mit zwei Griffen die Waffe entwenden, wild um mich schießen und dann mit dem Auto und euch beiden darin fliehen sollte. Zum Glück habe ich das nicht getan. Stattdessen habe ich mich auf die Beziehungen zum ehemaligen Widerstand gegen die Nazis besonnen, dem mein eigener Vater angehört hatte. Einige seiner ehemaligen Mitstreiter saßen mittlerweile in der Regierung der DDR. Mir wurde erlaubt, nach Ost-Berlin zu telefonieren und mit der Regierung Kontakt aufzunehmen. Dort erreichte ich einen damals äußerst wichtigen Mann, der mir wegen meines Vaters half. Nach sechs Stunden bekamen wir die Erlaubnis, dass meine Tochter mit einreisen durfte. Die längsten Stunden meines Lebens.“

 

Die folgenden 27 Jahre sind meine Eltern und ich regelmäßig in die DDR gefahren. Wir waren legal ausgereist und durften daher auch wieder einreisen. In diesen 27 Jahren wurden wir regelmäßig an der Grenze tyrannisiert, unser Auto komplett auseinandergebaut und als Puzzle stehengelassen. Gut, dass mein Papa so fit im Zusammenschrauben von Auto-Interieur war, dass er das Ganze immer wieder zusammenbauen konnte. 1988 wurde mein Vater bei der Einreise verhaftet. Wegen einer Lappalie. Erst nach zwei Stunden und unter Druck des Westens ließ man ihn wieder gehen. Damals sagte er zu dem diensthabenden Offizier der DDR an der Grenze: „Ich gebe euch noch ein Jahr, dann seid ihr weg vom Fenster. Ein Regime auf deutschem Boden, das sich so verhält, kann nicht bestehen.“ Er sollte recht behalten.“

 

Nach meinem eigenen Zeugnis ging es weiter mit Klaus Majoress und einem geistlichen Impuls. Er mahnte: „Wir sind weiter davon entfernt, dass die Botschaft von Gottes Liebe und Güte die Welt durchdrungen hat. Es ist aber unsere Aufgabe, die wir seine Kinder sind, Feindschaft und Hass entgegenzustehen. Wir werden in dieser Welt nur zusammenwachsen können, wenn wir Liebe auch wirklich leben. Und das Gebet um den Frieden jeden Tag beten, ohne es zu vernachlässigen. Darum bitten, dass Gottes Geist bei uns ist. Bei uns und bei den Regierenden. Wir sind berufen, zu segnen, nicht zu fluchen und mit Gottes Hilfe einer Welt mit Jesus eine Alternative anzubieten, die wirklich trägt und alles verändern kann.“

 

Nach Klaus Majoress berichtete Hella Goldbach von ihren Erfahrungen als ehemalige West-Berlinerin, die oft zu Gast in Ost-Berlin war. Auch sie erzählte von fast unerträglichen Schikanen bei der Ein- und Ausreise, von Schwierigkeiten und Spitzeleien sowie bewussten Drangsalierungen auf der damaligen Transitstrecke zwischen West-Berlin und Westdeutschland.

 

Pfarrer Opterhöfel beendete die Runde der Redner mit einem Dankeswort an die Organisatoren und natürlich an Gott, den Vollbringer und Vollender dieses Wunders des Mauerfalls.

 

Den Abschluss bildete das gemeinsame „Vater Unser“ und der Segen durch die beiden Pfarrer. Zwischen den einzelnen RednerInnen spielte die Band96 Lobpreis, der in Beine und Herz ging und wohl letztendlich verhinderte, dass die BesucherInnen vor der Bühne endgültig zu Eissäulen erstarrten. Jedoch: Trotz des Wetters eine rundum gelungene und durch die Zeitzeugnisse spannende Veranstaltung in Lüdenscheids Innenstadt. Ein Beweis auch für die Liebe und das Vertrauen der Anwesenden zu Gott. Bei gutem Wetter solch eine Veranstaltung durchzuhalten ist kein Problem, jedoch bei Wind und Regen, da gehört schon Standing und ein Bewusstsein dazu, dass es wichtig ist, IHM und nur IHM allein Dank und Ehre zu geben.

 

Eine der Teilnehmerinnen sagte: „Ich finde es super, dass ihr die Dankesfeier nicht abgesagt oder in eine Gemeinde verlegt habt. Klar, es war kalt. Aber meiner Meinung nach gehört diese Veranstaltung auf die Straße. Mitten in die Stadt. Als Erinnerung und Mahnung, dass wir es nie wieder so weit kommen lassen, dass eine Mauer unser Land teilt. Ich hoffe, ihr macht weiter und steht auch im nächsten Jahr genau hier. Ich bin dann wieder dabei. Egal, bei welchem Wetter.“

 

Dem ist tatsächlich nichts hinzuzufügen außer vielleicht Folgendes: Gott hat mit dem Mauerfall ein starkes Zeichen gesetzt und uns Freiheit und Einheit geschenkt. Sorgen wir nun dafür, dass wir diese Freiheit bewahren und uns dafür einsetzen, dass unser Grundgesetz, begründet auf dem Wort Gottes, unsere gemeinsame Basis bleibt und wir zusammen dafür einstehen. Als ein geeintes Volk. Mit viel Liebe und Verständnis füreinander. Das wünsche ich mir…!

Dankesfeier zum 3. Oktober bereits das dritte Mal in Lüdenscheids Innenstadt

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