Artikel Archiv

Schon früh am Morgen heizte die Küsterin die großen Öfen an

1.1.2024

Die Servatiuskirche war für Kniest Mielchen eine zweite Heimat. Die Küsterin versah ihren Dienst noch bis über das 80. Lebensjahr hinaus (Foto: Crummenerl)
Die Servatiuskirche war für Kniest Mielchen eine zweite Heimat. Die Küsterin versah ihren Dienst noch bis über das 80. Lebensjahr hinaus (Foto: Crummenerl)

RÖNSAHL + Es gibt Dinge, die schlummern irgendwo im Bewusstsein der Bevölkerung, ohne indes ganz in Vergessenheit zu geraten, auch wenn sie nur ganz selten zur Sprache kommen. Dann aber regen sie umso mehr zum Schmunzeln an und rufen plötzlich ein Stück der „guten alten Zeit“ in Erinnerung.

 

Rönsahl ist reich an solchen Erinnerungen, kam doch dem Dorf im Grenzraum zwischen Westfalen und der Rheinprovinz zu allen Zeiten eine gewisse Bedeutung zu, auch wegen seiner exponierten Lage am Schnittpunkt zweier großer Handelsstraßen. Manchmal sind es jedoch nicht die großen und weltbewegenden Dinge, so wie sie beispielsweise durch die Verbindungen, die die reichen Pulverfabrikanten in alle Welt pflegten, in Erinnerung geblieben sind, sondern vielmehr die ganz persönlichen Schicksale der so genannten „kleinen Leute“. Jener Menschen, die auf ihre Weise dennoch ein Stück Dorfgeschichte mit geschrieben haben.

 

Eine solche Frau war – bei aller Bescheidenheit und aus heutiger Sicht betrachtet- sicher auch „Kniest Mielchen“. Sie gehörte vor hundert Jahren ganz einfach zum Dorfbild. Etwa so wie das Getrappel der Pferdefuhrwerke auf dem Kopfsteinpflaster der Hauptstraße, die in jener Zeit noch den hauptsächlichen Gütertransport besorgten. Oder auch wie das Geläut der Kirchenglocken vom nahen Kirchturm im Dorf, der kaum einen Steinwurf weit von Mielchens Wohnung entfernt war und dem sie zu allen Zeiten verbunden war. Fragt man betagte Mitbürger nach „Kniest Mielchen“, so können sich nur noch wenige – und das auch nur vom Hörensagen – an Emilie Kniest, damals im Volksmund besser bekannt als „Kniest Mielchen“, erinnern.

Kniest Mielchen, langjährige Kirchenküsterin in Rönsahl, das Bild entstand an ihrem 80. Geburtstag, war wohl das Sinnbild einer gütigen alten Frau (Repro: Crummenerl)
Kniest Mielchen, langjährige Kirchenküsterin in Rönsahl, das Bild entstand an ihrem 80. Geburtstag, war wohl das Sinnbild einer gütigen alten Frau (Repro: Crummenerl)

Wenn allerdings zuweilen von „Kniest Mielchen“ gesprochen wird, so hat das durchaus seinen Grund. Versah doch die Frau, die am 14. April 1860 in Rönsahl das Licht der Welt erblickt hatte, während einer langen Reihe von Jahren das Amt der Kirchenküsterin in Rönsahl. Insgesamt war das wohl über einen Zeitraum von weit mehr als einem Vierteljahrhundert.

 

Als eben jene Kirchenküsterin wurde Kniest Mielchen bald zu einer Institution im Dorf an der Westfalengrenze – wenngleich von Berufs wegen natürlich längst nicht so hoch stehend wie etwa Dorfarzt, Lehrer oder gar ihr Dienstherr, der Pfarrer. Immerhin aber war das Küsteramt mehr als nur ein einfacher Job, wie man heutzutage zu sagen pflegt. Die Aufgaben der Küsterin waren vielfältig und wichtig für Kirchengemeinde und Dorf. Mielchen war eben aus dem Dorfleben nicht wegzudenken.

Küsterin Emilie Kniest hat ihren Dienst unter gesamt vier Pfarrern in Rönsahl versehen, die meiste Zeit davon wohl in den Jahren, als Pastor Paul Radicke von 1896 bis 1934 Pfarrer in Rönsahl war. Sie war auch für das pünktliche Läuten der Glocken verantwortlich, als Wilhelm Dreisbach zwischen 1934 und 1942 die Pfarrstelle in Rönsahl leitete, und sie lernte – hochbetagt inzwischen – auch noch die Pfarrer Albert Turck und Herbert Griesing kennen.

 

Der Gottesdienstbesucher unserer Tage kann sich nur schwer vorstellen, mit wieviel Mühen und körperlichen Anstrengungen das Amt des Kirchenküsters in früheren Jahrhunderten verbunden gewesen ist. Heute nämlich wird beispielsweise das Läuten der Glocken durch einen einfachen Druck auf den Knopf veranlasst. Längst hat die Technik auch den Blasebalg, der damals für die notwendige Luft beim Orgelspiel zu sorgen hatte, überflüssig gemacht. Als geradezu selbstverständlich erscheint es heute, dass den Kirchenbesucher schon beim Eintritt ins altehrwürdige Gotteshaus die wohlige Wärme der Ölheizung umgibt. Das war keineswegs immer so. Bis etwa Ende der 1950er Jahre gab es noch zwei große Kohleöfen in der Servatiuskirche. Wahre Ungetüme waren das, die eine gewaltige Menge an Kohle verbrauchten. So hieß es Sonntagsmorgens um fünf Uhr für die Küsterin aufzustehen und die Öfen in der Kirche anzuheizen, damit sich das Kirchenschiff rechtzeitig bis zum Beginn des Gottesdienstes erwärmen konnte. Erst in späteren Jahren brachte eine Koksheizung hier eine gewisse Erleichterung. Das Brennmaterial für die Öfen wurde übrigens damals im Turmraum gelagert, der aus diesem Grunde nicht zum Betreten der Kirche genutzt werden konnte. Der Turmraum erhielt ebenfalls erst in späteren Jahren und mit Installation der Ölheizung seine heutige Funktion und wurde entsprechend umgestaltet. Lange Zeit war der Zugang zur Kirche zuvor nur durch den heute noch vorhandenen Seiteneingang vom Haller Platz aus möglich.

So war die Ausübung des Küsteramtes für Kniest Mielchen mit einigen Mühen verbunden. Jeden Mittag musste sie beispielsweise die enge Treppe in den Turm hinaufsteigen. Pünktlich wollte die Kirchenuhr aufgezogen sein, die damals wie heute den Bürgern im Dorf die Stunde anzeigt. Nur scheint es, dass die Kirchenuhr zu jener Zeit noch weitaus mehr beachtet worden ist als heute, denn noch längst nicht jeder besaß damals eine Taschen- oder Armbanduhr.

 

Manche nette Episode rankt sich um Erzählungen um Kniest Mielchen. So gehörte es zu ihren selbstverständlichen Aufgaben, das Läuten der Glocken zu allen Anlässen zu organisieren. Dabei ließ sich die findige Frau stets allerlei einfallen. So stand sie beispielsweise immer, wenn eine Beerdigung anstand, in einem der Schalllöcher des Kirchturms, um rechtzeitig sehen zu können, wann der Leichenzug von den Höfen kam. Sie konnte auf diese Weile ihre Helferinnen, die Kniest Mielchen zur Hand gingen, als diese älter wurde, ein Zeichen geben, wann mit dem Läuten begonnen werden musste. Drei Personen waren jedes Mal erforderlich, die mit langen Tauen die schweren Glocken zum Schwingen brachten. Mit großem Einsatz und Kreaktivität versah Kniest Mielchen ihren Dienst noch bis über das 80. Lebensjahr hinaus.

 

Wie es in alter Zeit in nahezu allen Kirchengemeinden Sitte war, so hatten die Bediensteten der Gemeinde zum Fristen ihres Lebensunterhalts alle ein Stückchen Land zugeteilt bekommen. Man sprach in diesem Zusammenhang von „Pastors Land“, vom „Organistenland“ und auch vom „Küsterland“. Das Pachtland des Rönsahler Küsters lag am Büschelchen und am Mühlengraben. Kniest Mielchen hielt sich dort immer ein paar Ziegen. Zu ihrer Pflege des Landstückes gehörte dann auch, dass man sie oftmals traf, wenn sie einen so genannten „Püngel“, ein Laken voll mit trockenem Waldstreu, aus dem Düsternsiepen nach Hause trug.

Kniest Mielchen, so wussten das die, die sie etwas besser kannten, war neben aller kirchlichen Arbeit indes auch weltlichen Dingen nicht gänzlich abgeneigt. So soll sie eigentlich immer einen wohl gefüllten Beutel mit Schnupftabak bei sich getragen haben. Mit „Star – Marie“, so hieß es, habe sie manches Paket Tabak leer gemacht…

 

Hoch betagt, im Alter von 91 Jahren, starb Kniest Mielchen schließlich im Herbst 1951. Sie wurde angesichts ihrer Verdienste im Amt der Küsterin im Portal er Kirche aufgebahrt, so dass ihre Mitbürger Abschied nehmen konnten. Danach fand sie auf dem Friedhof in Rönsahl ihre letzte Ruhe. ©Cr

zurück zur Übersicht