Artikel Archiv
Reformation in Westfalen kam nicht über Nacht
27.9.2017
Prof. Dr. Jürgen Kampmann. (Foto: Raith)
von Guido Raith
Wie breitete sich die reformatorische Bewegung in Westfalen aus und welche Auswirkungen hatte sie dort? Diesen und anderen Fragen ging der Kirchenhistorikers Prof. Dr. Jürgen Kampmann aus Tübingen in einem Vortrag vor zahlreiche Gästen im Gemeinderaum der Ev. Erlöserkirche in Schalksmühle nach und brachte interessante Fakten zutage.
Unter der Überschrift Reformation ein furioses Ereignis stimmte Kampmann seine Zuhörer mit einem längeren Zitat des Chronisten Friedrich Christian Borgmeier ein, der die Ereignisse der Einführung der Reformation in Herford wortgewaltig umschrieb. Hierbei erläuterte er, dass die örtliche Äbtissin, Anna, Gräfin von Limburg, auf die ungestüme Anfrage einiger Bürger danach, Wie sie es denn mit der Religion wollte halten? derart erschrak, dass sie daraufhin ein lebenslanges Kopfzittern behielt.
Der Durchsetzung der lutherischen Lehre mit der neuen Kirchenordnung tat dies allerdings keinen Abbruch. Dennoch sei die Reformation in Westfalen nicht einfach über Nacht gekommen, so Kampmann und durchaus auch nicht als eine Revolution zu verstehen gewesen. Vielmehr habe es eine langwierige Entwicklung mit Einwirken vieler Personen an verschiedenen Orten gegeben.
Auch die in letzter Zeit öffentlichkeitswirksam verbreitete Charakterisierung der Reformation in Westfalen als verspätet sei nicht zutreffend, so Kampmann weiter.
Und es sei auch der Sache der Reformation im Jahr des Jubiläums nicht angemessen, sich allzu sehr auf einen bestimmten Anlass und eine bestimmte Person zu konzentrieren.
Die wissenschaftliche Theologie habe der Evangelischen Kirche gegenüber Einwendungen gegen die Konzentrierung auf die eine Person Luthers im Zusammenhang mit dem Reformationsjubiläum formuliert, aber daran nichts zu ändern vermocht. Es habe im Leben des Reformators eine Fülle von Ambivalenzen gegeben und oft würden aus heutiger Sicht dann Skepsis und Distanzierung der Person gegenüber auch gegenüber der Sache Oberhand gewinnen. Dies bleibe auch bei der Betrachtung der lokalen Reformatoren oft nicht aus. Bedeutender sei hingegen, was die Sache der Reformation ausgemacht habe und welche Veränderung der Lebenswirklichkeit durch sie dauerhaft erfolgte. Kampmann: Nach der zeitgenössischen Nachhaltigkeit und deren Breitenwirkung zu fragen ist im Kontext eines Gedenkens einer Reformation die weitaus dringlichere Aufgabe, als sich auf das Tun oder Lassen einer einzelnen Person zu konzentrieren.
Anhand einer kritischen Geschichtsdeutung durch Veränderung kartografischer Darstellung suchte Prof. Dr. Kampmann das Verstehen der Reformation in Westfalen zu untermauern. Das Institut für vergleichende Städteforschung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe habe aktuell eine neue Kartographie zur Geschichte der Reformation im westfälischen Raum erstellt. Dargestellt wird die Situation zu verschiedenen Zeitpunkten, begonnen mit einer Karte von 1517, wo noch kein Gebiet als von der Reformation berührt beschrieben wird. Die hier als heile katholische Welt betitelte Region in vorreformatorischer Zeit sei jedoch ...durchaus nicht als heil erlebt worden, so Kampmann. Kritik wurde geübt an den Verhältnissen der kirchlichen Leitung und Praxis, die nicht im Einklang mit dem standen, was aus der biblischen Überlieferung des Evangeliums durch und in Christus geschehenen heilvollen Zuwendung Gottes zu den Menschen unmissverständlich im einfachen Schriftsinn zu ersehen war.
Auf einer weiteren Karte des Jahres 1545 seien in Westfalen erste Städte, wie Herford, Lingen, Lippstadt und Soest als Städte mit Reformation gekennzeichnet, das gesamte Mindener Land würde als katholisch dargestellt und die Grafschaften Mark und Ravensberg als reformkatholischer Mittelweg ausgewiesen. In der Erläuterung sei die Reformation auch hier als verspätet beschrieben und dem Betrachter würde vermittelt, in einigen Gebieten habe sich rein gar nichts getan, so Kampmann weiter. Hier hätten die Kartographen die von den Herrschern der Region offiziell vertretene Haltung ausgewertet und flächendeckend übertragen, in etlichen Städten der Region habe es aber schon längst approbierte Kirchenordnungen gegeben. Und beschriebene reformatorische Mittelwege konnte es in der gemeindlichen Praxis de facto kaum geben, stellte Kampmann fest.
Die Darstellung auf einer dritten Karte des Institutes für vergleichende Städteforschung zeige für die Jahre 1565-70 in einigen westfälischen Gebieten kaum Veränderungen zur Karte um 1545, in der kirchlichen Praxis wäre aber faktisch in vielen Bereich bereits im reformatorischen Sinne gearbeitet worden, so Kampmann. Anhand einiger Beispiele aus einzelnen Territorien untermauerte der Historiker schließlich den früheren Einzug der Reformation in Westfalen. Hubert Jedin dokumentiere Lutherische Praxis in kartografischer Darstellung auch in zeitlicher Abfolge sogar für den nachbarschaftlichen deutschen Raum, erklärte Kampmann.
Das Handeln der institutionalisierten Amtskirche sowie des einzelnen glaubenden Menschen unter dem Einfluss der Reformation stand schließlich im Mittelpunkt einer weiteren Betrachtung von Prof. Dr. Jürgen Kampmann. Anschaulich verdeutlichte der Historiker, wie es hierbei weniger um Erneuerung, als um Rückbesinnung auf bestehende biblische Werte gegangen sei.
Im letzten Teil seiner Betrachtungen machte Kampmann das Maß an Durchdringung durch kirchliche Perspektiven im westfälischen Raum zur Zeit der Reformation deutlich. Eine Stadt wie Herford, die damals mit einer Einwohnerzahl von etwa 4000 schon zu den größeren gehörte, zählte davon rund 400 Kleriker. Damals habe es auch schon gute Kontakte einzelner Herforder zu Martin Luther gegeben. In einer frühen Herforder Kirchenordnung um 1532 mit Wittenbergischer Genehmigung - durch ein Vorwort von Johannes Bugenhagen- gebe es bereits die reformatorisch markanten Abschnitte vom Predigeramt und den Sakramenten, der Schule und der Küsterei, von der Versorgung der Armen und von der Ehe. Eine genaue Beschreibung des reformatorischen Geschehens in der Grafschaft Mark sei leider nicht dokumentierbar, da die Quellenlage für viele Gemeinden sehr dünn wäre, so Kampmann.
Im Anschluss an den Vortrag hatten die Gäste schließlich die Gelegenheit, Fragen zum Thema zu stellen.