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Glockengeschichte

12.2.2021

Die im Jahr 2000 eingebauten neuen Glocken der Erlöserkirche aus dem Hause der Glockengießerei Rincker hängen in einem Holzglockenstuhl. Sie sind unterschiedlich schwer. (Foto: Jakob Salzmann)
Die im Jahr 2000 eingebauten neuen Glocken der Erlöserkirche aus dem Hause der Glockengießerei Rincker hängen in einem Holzglockenstuhl. Sie sind unterschiedlich schwer. (Foto: Jakob Salzmann)

Von Monika Salzmann

 

LÜDENSCHEID + Mit den Glocken der Erlöserkirche, die 1920 zusammen mit denen der Christuskirche und erneut im Jahr 2000 erneuert wurden, verbindet der Lüdenscheider Ulrich König (82) eine mehr als 70-jährige Geschichte. 1947, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, kletterte er als Neunjähriger mit seinem Vater erstmals die damals noch steile Leiter zu den Kirchturmglocken hinauf, weil ein Antriebsseil abgesprungen und feierliches Glockengeläut nicht möglich war – ausgerechnet an den Feiertagen. Für den jungen Lüdenscheider, der später als Bau- und Kunstschlosser in die Fußstapfen seines Vaters Werner trat, war das „ein Riesenabenteuer“, wie er sagt. Der massive Turm mit seinen engen Durch- und Blindgängen, dem zwei Meter dicken, zweischaligen Mauerwerk, den Eisenankern zur Sicherung des Mauerwerks und der imposanten Uhr aus dem Jahr 1877 faszinierten ihn schon damals. „Der alte Gang, durch den die Ritter gegangen sind, war beeindruckend“, gesteht er. Ins tiefste Mittelalter, als der Turm auch Wehrturm war, tauchte er damals staunend ein. „Die gebusten Kreuzkuppelgewölbe datieren den Turm in das 12. Jahrhundert“, heißt es dazu in der Denkmalbeschreibung der Stadt Lüdenscheid. „Das Obergeschoss des Turms, das zum Kirchenschiff offen war, diente in der Art einer ‚Herrscherempore‘ als Grundherrensitz und als Michaelskapelle.“

 

Fast 1000 Jahren Geschichte zu begegnen und obendrein mithelfen zu können, die Glocken zum Fest wieder zum Klingen zu bringen, waren für den Neunjährigen ein unvergessliches Erlebnis. „Auch das Probeläuten hat geklappt“, erinnert er sich. Vom Kluser Platz, wo die Familie König damals wohnte, bis zur Erlöserkirche hatten der Schlosser und sein Sohn kurze Wege. „Wir waren schnell da“, erinnert sich Ulrich König an sein unvergessliches Erlebnis. Die Liebe zu den Glocken und ihrem Geläut hat ihn seither nie mehr losgelassen. „Ich freue mich immer, wenn ich Glocken höre“, sagt er. Bei seinen sonntäglichen Wanderungen, die er früher häufig unternahm, sei das Glockengeläut „immer ein feierlicher Augenblick gewesen. Ich habe dann im Gehen immer ein kurzes Gebet gesprochen.“

Mit der Turmuhr der Erlöserkirche kennt sich Ulrich König bestens aus. "Ich habe auch Arbeiten am Uhrwerk gemacht", sagt er. (Foto: Jakob Salzmann)
Mit der Turmuhr der Erlöserkirche kennt sich Ulrich König bestens aus. "Ich habe auch Arbeiten am Uhrwerk gemacht", sagt er. (Foto: Jakob Salzmann)

Neben den Glocken der Erlöserkirche, die er von Jugend an kennt, hat der Bau- und Kunstschlosser beruflich die Glocken vieler anderer Kirchen in Lüdenscheid und Umgebung kennengelernt – und kann spannende Glockengeschichten erzählen. Sowohl mit den großen Kirchturmglocken als auch mit alten Uhrglocken kennt er sich bestens aus. Viel Wissenswertes hat er über Glocken, Uhren und Kirchengeschichte zusammengetragen. Daher ist es ihm ein Anliegen daran zu erinnern, dass es dieser Tage fast genau 100 Jahre her ist, dass die im Ersten Weltkrieg zu Kriegszwecken eingeschmolzenen Bronzeglocken der Erlöserkirche und Christuskirche durch neue Glocken ersetzt wurden.

 

In der Christuskirche verrichten die am 4. Advent 1920 eingeweihten Stahlglocken – drei an der Zahl - noch heute ihren Dienst. In der Erlöserkirche wurden die vor einhundert Jahren ersetzten Stahlglocken im Jahr 2000 neu gegossen. Maßgeblich an der Anschaffung waren das Ehepaar Ruth und Klaus Rabenschlag sowie der Förderverein „Glocken für die Erlöserkirche“ beteiligt. Fünf Glocken aus dem Hause der alteingesessenen Glocken- und Kunstgießerei Rincker (Sinn) – eine große, 2000 kg schwere Festtagsglocke, die Sonntags- und Erlöserglocke, die Sakramentsglocke, die Lob- und Dankglocke sowie die Gnadenglocke – sind dort in einem Holzglockenstuhl eingebaut. Jede dieser Glocken – ob in der Christuskirche oder in der Erlöserkirche - ist mit einer eigenen Inschrift versehen. Die große Glocke der Christuskirche beispielsweise erinnert mit ihrer Inschrift an die Schrecken der Kriegszeit. „Kriegsweh brach der Glocke Herz, Waffe ward das klingend Erz. Glocke aus Stahl künd‘ weit und breit Deutschlands harte Prüfungszeit“, heißt es darauf. Die Inschriften der neuen Erlöserkirchenglocken stammen durchweg aus dem Johannesevangelium. Die einstigen Stahlglocken trugen zum Großteil die gleichen wie die der Christuskirche.

 

Als ein einmaliges, emotionales Erlebnis beschreibt Ulrich König den Glockenguss. Ebenso den Einbau von Glocken mithilfe von Flaschenzügen und geöffnetem Mauerwerk, bei dem er in seinem langen Arbeitsleben selbst mitgeholfen hat. „Die Glocken werden durch das vergrößerte Schallloch nach innen gezogen und mit mehreren Flaschenzügen ausgerichtet, hochgehoben und die Lager gesetzt“, erklärt er. Zuletzt müsse das geöffnete Mauerwerk wieder zugemauert werden. Ähnlich liebevoll spricht Ulrich König über alte Kirchuhren. 1976 baute er unter Wahrung des Denkmalschutzes in die mechanische Uhrenanlage der Erlöserkirche aus dem Jahr 1877 einen elektrischen Antrieb ein. Überdies montierte er 1977 zwei neue Uhrenschlagglocken am Turmhelm der Kirche. Zuletzt war Sohn Markus, der die Bau- und Kunstschlosserei an der Altenaer Straße 117 von seinem Vater übernommen hat, 2018 an der Restaurierung der Turmuhren der Christuskirche beteiligt. Mit Enkel Felix ist die vierte Generation in den Betrieb eingestiegen. Was nicht heißt, dass der 82-Jährige, der sein Handwerk liebt, nicht selbst noch jeden Tag gern in der Werkstatt vorbeischaut.

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