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„Es ist wieder schwer, in Deutschland Jude zu sein.“

29.7.2024

Eröffnung durch Rosi Dicke (Freunde Israels). Im Hintergrund Bilder von israelischen Kindern und Jugendlichen, die noch in Geiselhaft sind. Links: Birte Lindtstaedt, Jens Brettschneider, Cornelia Ziemke und die Gitarristin Olga, die an diesem Tag für die Musik zuständig waren. (Foto: Kanneberg)
Eröffnung durch Rosi Dicke (Freunde Israels). Im Hintergrund Bilder von israelischen Kindern und Jugendlichen, die noch in Geiselhaft sind. Links: Birte Lindtstaedt, Jens Brettschneider, Cornelia Ziemke und die Gitarristin Olga, die an diesem Tag für die Musik zuständig waren. (Foto: Kanneberg)

Der erste „Deutschlandweite Tag der Solidarität mit Juden und Israel“ zog Christen aus vielen Gemeinden auf den Sternplatz in Lüdenscheid.

 

Von Iris Kannenberg

 

LÜDENSCHEID + Ein Tag der Solidarität mit Juden und Israel? Wozu? Die Initiatoren des 10. Juli als Aktionstag begründen dies wie folgt: „Es ist Zeit für ein Signal. Für ein Stopp-Signal. Gerichtet an Antisemiten aller Couleur. Für unsere soziale Kultur und unsere Demokratie sind sie toxisch. Diese lassen wir am 10. Juli verstehen: Antisemitismus und Angriffe auf den Artikel 1 des Grundgesetzes werden in Deutschland nicht geduldet. Dumpfe Verleumdung Israels auch nicht. Und auch keine Verrohung unserer Gesellschaft. Es ist Zeit für einen Aufbruch. Ein Aufbruch in eine neue Normalität. In der die Vergangenheit nicht vergessen wird, aber entpathologisiert. Es ist Zeit für eine Zukunft, in der unsere gemeinsame Ethik, die Verteidigung der Demokratie und der gemeinsame Kampf gegen Fanatismus und Verrohung im Vordergrund stehen. Warum ausgerechnet der 10. Juli? 1945 fand an diesem Tag in Dresden die erste Theateraufführung nach dem Krieg statt. Gezeigt wurde Lessings „Nathan der Weise". Ein wunderbares Symbol für Toleranz, Aufklärung und den Aufbruch in eine neue, friedliche, rechtsstaatliche und freiheitliche demokratische Zeit. Wahrlich wert, verteidigt zu werden. Wahrlich wert, einen Beitrag zu leisten. Und erst recht wert, künftig jedes Jahr am 10. Juli Solidarität offen zu zeigen.

Auch Irmtraut Hunke (1. Vorsitzende der Evangelischen Allianz Lüdenscheid, Evangelische Christuskirche Lüdenscheid) war es wichtig, an diesem Tag ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. (Foto: Kannenberg)
Auch Irmtraut Hunke (1. Vorsitzende der Evangelischen Allianz Lüdenscheid, Evangelische Christuskirche Lüdenscheid) war es wichtig, an diesem Tag ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. (Foto: Kannenberg)

Der 10. Juli ist ein kreativer „Open-Source“–Tag und hat viele Organisatoren. Lediglich die Initiative ging vom Münchner „Demokratie und Information e.V." (DEIN) aus. Hier werden die Ideen gebündelt und die Aktivitäten gesammelt. Also: Nichts Hierarchisches, keine zentrale Führung. Dafür ein hoher kollektiver „IQ“ (Weitere Informationen unter: www.dein-ev.net). Über 80 Organisationen, Kirchen, Einzelpersonen und Kultusgemeinden machen bei dieser Initiative mit. Schirmherrin ist Frau Dr. hc. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelischen Kultusgemeinden München und Oberbayern sowie Comissioner of Holocaust Memory.

 

Auch Lüdenscheid folgte diesem Ruf. Organisiert von der überkonfessionellen Gruppe „Freunde Israels Lüdenscheid“ traf man sich dazu unter der Leitung von Rosi Dicke (Freunde Israels) auf dem Lüdenscheider Sternplatz. Um 18:30 Uhr ging es los mit Musik (Birte Lindtstaedt Geige, Jens Brettschneider Ukule, Cornelia Ziemke an der Cajon und die Gitarristin Olga), einem Infotisch, Israel-Fahnen und einem großen, auf den Platz geklebten Davidstern. Die Besucherschar setzte sich aus Mitgliedern der verschiedenen christlichen Gemeinden Lüdenscheids zusammen. Es kamen aber auch Menschen, die mit dem Glauben wenig zu tun haben und einfach nur ein persönliches Zeichen setzen wollten.

 

Rosi Dicke mahnte selbst gleich zu Beginn der Veranstaltung: „Es ist wieder schwer, in Deutschland Jude zu sein. Wer sich offen dazu bekennt ist in Gefahr. Wer eine Kippa oder einen Davidstern trägt, muss mit körperlicher Misshandlung auf offener Straße rechnen. Synagogen, jüdische Schulen und Kitas müssen bewacht werden, damit dort keine Anschläge stattfinden. Das ist massiver Antisemitismus, der sich deutschlandweit ausbreitet. Wir rufen daher unseren Staat dazu auf, nicht nur zu reden, sondern aktiv zu handeln. Unsere jüdischen MitbürgerInnen zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Übergriffe aufhören.

Die Beteiligten setzten mit dem Halten der Fahne Israels ein klares Zeichen. (Foto: Kannenberg)
Die Beteiligten setzten mit dem Halten der Fahne Israels ein klares Zeichen. (Foto: Kannenberg)

Zusätzlich möchte ich alle Christen auffordern, sich klar zu Israel und den Juden zu bekennen. Wir sind die Wächter auf den Mauern Jerusalems und haben die biblische Pflicht, Gott nicht nur im Schutz und Beistand für sein Volk zu bitten, sondern uns auch öffentlich dazu zu stellen. Wir können uns der Verantwortung nicht entziehen. Jesus war und ist Jude. Alle Apostel waren Juden, auf deren Zeugnis unser Glaube beruht. Ein Denkfehler, wer als Christ der Meinung ist, er hätte mit Israel nichts zu tun.“

 

Nach diesen eindringlichen Worten kamen Rednerinnen zu Worte, die von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Judentum und dem Land Israel berichteten. So lebt Friederike Harig bereits seit 2005 in Israel, unterstützt dort Holocaust-Überlebende und wusste viel Aktuelles - aber auch Tiefdramatisches - aus dem gebeutelten Land zu erzählen. Birgit Elste, die gerade als Erntehelferin in Israel war und Susanne Umbach berichteten anschaulich über ihre Beziehung zum Judentum und warum es ihnen wichtig war, auch nach außen hin an diesem Tag ein ganz klares Zeichen für Israel und gegen Antisemitismus zu setzen.

Hella Goldbach (Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.) verlas eine sehr klare Botschaft und betet mit den Anwesenden. (Foto: Kannenberg)
Hella Goldbach (Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.) verlas eine sehr klare Botschaft und betet mit den Anwesenden. (Foto: Kannenberg)

Zu Wort kam zudem Hella Goldbach, die Leiterin der Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit e. V. Lüdenscheid. Sie verlas ein sehr klares, bekennendes Statement: „Ich vertrete die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und beziehe mich auf das Neue Testament, Römerbrief 11,17, in dem auf Gottes wunderbaren Weg mit Israel und den Nationen hingewiesen wird. Paulus zeigt hier, dass alle Menschen, die nicht zum jüdischen Volk gehören, sich den Glauben nicht verdienen können, sondern ihnen dieser aus der Güte Gottes heraus geschenkt wurde. Was bedeutet: Wir haben keinerlei Grund, gegenüber dem jüdischen Volk überheblich zu sein und keinerlei Vorrang gegenüber jüdischen Menschen, die Jesus noch nicht als ihren Messias erkannt haben. Wir Christen sind kein „Ersatz“ für Israel. Israel bleibt das auserwählte Volk Gottes. Auf die Zugehörigkeit zum Volk Gottes sollten wir daher nicht stolz sein, sondern dankbar.

 

In Gottes Wort gibt es direkte Anweisungen, wie gefährlich es ist, dem Antisemitismus Raum zu schaffen. Gott ruf uns jetzt auf, nicht zu schweigen, sondern die Tatsache des Antisemitismus zu erkennen und dagegen anzukämpfen. Besonders durch Gebet. Daher bitten wir Dich Jesus: Breite das Zelt des Friedens aus über die Menschen in Israel. Dein Shalom ist Schutz und Freiheit. Breite Deinen Frieden aus über die, die um ihre Angehörigen trauern und bangen. Über die Verwundeten und die, die fliehen müssen. Über alle in Israel, die von Raketen und terroristischen Angriffen aktuell bedroht sind. Lass die Entführten und Verschleppten schnell befreit werden und nach Hause kommen. Sei zudem bei der palästinensischen Zivilbevölkerung, die unter den Folgen der Taten der Hamas jetzt so leiden muss. Schütze auch in unserem Land Juden und Jüdinnen vor Antisemitismus und einer zunehmenden Gewaltbereitschaft ihnen gegenüber. Amen.“

Der Info-Tisch zum Israel-Tag. (Foto: Kannenberg)
Der Info-Tisch zum Israel-Tag. (Foto: Kannenberg)

Sie wurde mit anhaltendem Applaus belohnt. Dorothee Schulte (Freunde Israels) rief danach ebenfalls zum gemeinsamen Gebet in kleinen Gruppen auf. Den Abschluss bildete das Aufstellen der Anwesenden auf dem großen Davisstern, der auf dem Boden des Sternplatzes klebte. Ein beeindruckendes Bild.

 

Mutig, wer an diesem Tag auf die Straße ging und sich offen zu Israel bekannte. Es weht ein scharfer Antisemitischer Wind auf Deutschlands Straßen. Auch die dort Versammelten bekamen diesen Wind zu spüren. Sie wurden beleidigt, bedroht und beschimpft. Ohne Polizeischutz wäre das Ganze wahrscheinlich nicht so friedlich verlaufen. Die BesucherInnen der Veranstaltung ließen sich nicht beeindrucken.

 

Antisemitismus darf sich nie wieder in Deutschland manifestieren. Die Folgen sind durch das Dritte Reich hinreichend bekannt. Gerade wir Christen sind daher aufgerufen, ein Schutzschild gegen antisemitische Tendenzen zu sein. Sich dem Druck von außen nicht zu beugen. Gott schützt die seinen, wenn sie tapfer für ihn in den Riss treten. Darauf dürfen wir uns verlassen. Darauf dürfen wir vertrauen. Jeden Tag aufs Neue und für immer.

Bildimpressionen zum Tag der Solidarität mit Juden und Israel in Lüdenscheid (alle Foto: Kannenberg)

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