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25 Jahre Obdachlosen-Freundeskreis
15.11.2017
Zu den jährlichen OFK-Weihnachtsfeiern kommen stets über 100 Leute zusammen (Foto: Weiland)
Von Ingrid Weiland
OBERRAHMEDE + Rund 200 Leute waren am vergangenen Sonntag zu dem Festgottesdienst in der Kirche Oberrahmede erschienen, in dessen Rahmen das Jubiläum 25 Jahre Obdachlosen-Freundeskreis (OFK) gefeiert wurde. Gemeindemitarbeiter Andreas Sievert, der alle begrüßte, erklärte: Wir haben 25 Jahre Gottes Segen erfahren und deshalb allen Grund, ihm mit Worten und Liedern zu danken. Für den musikalischen Teil war neben den Kindergottesdienstkindern und Markus Opderbeck auch die Gemeindeband zuständig. Monika Deitenbeck-Goseberg, Gemeindepfarrerin und Vorsitzende des OFK, dankte allen, die die OFK-Arbeit in den vergangenen 25 Jahren unterstützt haben, mit kleinen Geschenken. Der stellvertretende OFK-Vorsitzende Günter Bernhardt würdigte die Arbeit der OFK-Vorsitzenden mit warmen Worten und einem Präsent.
Dank an Monika Deitenbeck-Goseberg (Mitte) für ihr Engagement in den dvergangenen 25 Jahren für den OFK durch ihren Stellvertreters Günter Bernhardt, hier bei der Präsentübergabe (Foto: Weiland)
Monika Deitenbeck-Goseberg sprach in ihrer Predigt über zwei Menschen, die sie als Beispiele dafür anführte, dass man in Menschen, die man mit der Brille Jesu betrachte, wahre Goldschätze entdecken könne. Da war zum einen Norbert, Schaustellerkind, Analphabet, der nach 17-jähriger Alkoholsucht bis zu seinem Tod (2012) trockenblieb und zu einer wahren Stütze für den OFK wurde. Das zweite Beispiel war Markus, ein ehemaliger Skinhead, der heute ein überzeugter Christ ist und viel von seiner Überzeugung ausstrahlt. Die Gemeindepfarrerin ließ auch die vergangenen 25 Jahre Revue passieren: Die Anfänge des OFK gehen auf den November des Jahres 1992 zurück. Der Wohnungsnotstand, der seinerzeit in Lüdenscheid sehr groß war bewog Gemeindepfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg dazu, den OFK zu gründen. Intensiv begleitet und ermutigt wurde sie dabei von Matthias Wagener. 56 Leute aus den evangelischen, katholischen und freikirchlichen Gemeinden, Gewerkschaftsgruppen und Vereinen der Stadt, die sie angeschrieben hatte, waren ihrem Aufruf gefolgt und riefen dann den OFK ins Leben.
Etwa zeitgleich führten die Lüdenscheider Nachrichten die Aktion Wir bauen ein Dach durch, die die Lüdenscheider Bevölkerung dazu bewog, vom November bis Mitte Dezember die Rekordsumme von 143.000 Euro für die Anschaffung von drei Containern und zehn Wohnwagen zu spenden. Für diese zeichneten sich dann die Johanniter verantwortlich. Der OFK machte es sich zur Aufgabe, die am Nattenberg stationierten Container und die Wohnwagen an der Hohen Steinert wöchentlich zu besuchen. Dabei kamen die Besuchsteams hautnah mit den Lebensgeschichten der Bewohner in Berührung. Sie luden sie zu Gemeindeveranstaltungen, Konzerten und anderen Ereignissen ein, um sie wieder möglichst nah an die Normalität heranzuführen.
Im Dezember 1993 wandte sich der OFK an alle Lüdenscheider Wohnungsbaugesellschaften mit der Bitte, ihm Wohnungen zu vermieten. Daraufhin konnten ab 1994 zunächst zwei Wohnungen von den Wohnstätten Mark angemietet werden. Diese Zahl erhöhte sich auf 19 Wohnungen, für die mit den Obdachlosen zunächst Untermieterverträge abgeschlossen wurden. Aufgrund der guten Erfahrungen wurden diese um das Jahr 2000 in eigenständige Mietverträge umgewandelt. An die Stelle der Notschlafstellen in den Containern trat Mitte der neunziger Jahre das Wohnheim für Männer in besonderen sozialen Schwierigkeiten im Amalie-Sieveking-Haus (Einrichtung des Evangelischen Perthes-Werks).
Stricken der OFK-Mitarbeiter für die Weihnachtsbescherung, bei der die Obdis Mützen, Schals oder Socken erhalten (Foto: Weiland)
Über viele Jahre standen die im Umgang mit Obdachlosen erfahrenen Caritas-Mitarbeiter Thomas Becker und Ulrich Birkner dem OFK begleitend und beratend zur Seite, die ihm mit ihren Erfahrungen halfen, allmählich in ihre Arbeit hineinzuwachsen. Mehrmals im Jahr trafen sich OFK-Mitarbeiter mit Vertretern der Stadt, der Caritas, der Johanniter und des Perthes-Werks zum Erfahrungsaustausch am Runden Tisch. Nach Auflösung der Container fanden die wöchentlichen Mittwochstreffen mehrere Jahre in Räumen der Caritas statt. Um 2005 wechselte man ins Gemeindezentrum der Erlöserkirche, wo sich aus den Zusammenkünften das Montags-Bistro entwickelte, das an jedem Montag von 18 bis 22 Uhr allen offensteht, die am Rande der Gesellschaft stehen: Obdachlosen, die vom OFK betreut werden, Menschen mit Alkoholproblemen, Nichtsesshaften, die eine Anlaufstelle suchen. Im Montags-Bistro finden sich regelmäßig rund 70 Gäste ein, die das zwanglose, gemütliche Beisammensein und die familiäre Atmosphäre schätzen, in der sie Ansprechpartner für ihre Probleme finden, mit den Mitarbeitern und anderen Besuchern spielen, klönen und gemeinsam speisen können. Die Mitarbeiter, deren ehrenamtliches Engagement gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, vermitteln ihren Gästen durch mancherlei Zeichen der Zuwendung das Gefühl angenommen zu sein. Deren hohem Gesprächs- und Begleitungsbedarf kommen sie entgegen, indem sie sich viel Zeit für sie und ihre Probleme nehmen. Für viele Bistro-Gäste ist inzwischen auch das dem gemeinsame Essen vorausgehende Gebet, in das die Sorgen der Obdachlosen eingeschlossen werden, sowie die Kurzandacht (SMS von Gott) ganz wichtig geworden.
Das Treffen des "Obdis" beim OFK-Bibelcafé (Foto: Weiland)
Das Konzept der OFK-Arbeit hat sich erst allmählich herausgebildet. Die Ehrenamtlichen, von denen eine ganze Reihe diese über viele Jahre unterstützt haben, ließen sich durch die genannten Caritas-Mitarbeiter coachen und lernten so mit der Zeit eine Menge hinzu. Heute sind an jedem Bistro-Abend mehrere von ihnen im Einsatz. Weitere stehen für Vertretungsdienste zur Verfügung oder machen sich durch Bewirtungsdienste bei kirchlichen, städtischen und anderen Veranstaltungen, durch Trödelmärkte und Möbeldienste für die OFK-Arbeit stark. Bei letzteren geht es darum, dass geschenkte Möbel abgebaut und kostenlos an Bedürftige weitiergegeben werden. Dank eines geschenkten alten Bullis wurde es möglich, Möbel zu transportieren und Fahrdienste für Obdachlose zu übernehmen, die an den Gottesdiensten in der Kirche Oberrahmede oder sonstigen Veranstaltungen teilnehmen möchten. Der sonntägliche Fahrdienst besteht seit Mitte der neunziger Jahre.
Klaus Majoress, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreis Lüdenscheid-Plettenberg dankt Monika Deitenbeck-Goseberg für ihr langes und großes Engagement in der OFK-Arbeit (Foto: Weiland)
Rund ums Kirchenhaus Oberrahmede gibt es täglich Begegnungen, Handreichungen und auch ein Mittagessen für alle, die daran teilnehmen möchten. Das Konzept der Gastfreundschaft wurde Mitte der neunziger Jahre zunächst dadurch entdeckt, dass die Obdis in der ProChrist-Woche an den Eingangstüren mithalfen, die Besucher freundlich mit Süßigkeiten zu empfangen. In der Folgezeit wurde der OFK immer häufiger darum gebeten, Verpflegungsdienste zu übernehmen. Inzwischen serviert er bei vielen Veranstaltungen Kaffee, Kuchen, Würstchen, Waffeln und Pommes frites. Das Catering ist allmählich eine gute Einnahmequelle für die OFK-Arbeit geworden, die bis heute ehrenamtlich geleistet wird. Sie wird außerdem durch Spenden, Kollekten sowie aus den Einnahmen aus Trödelverkäufen und Vortragsdiensten getragen.
Im Laufe der Jahre kam es zu einer immer engeren Verzahnung zwischen OFK- und Gemeindearbeit. Viele ehemalige Obdachlose haben eine Heimat in der Kirchengemeinde gefunden, erfahren dort Gastfreundschaft und Wertschätzung. Krankenhausbesuche, Geburtstagsfeiern, das Osterfrühstück, Gemeindewochenenden im Haus Nordhelle, die alljährlichen gemeinsamen Weihnachts- und Silvesterfeiern und Wanderungen zum Open-Air-Gottesdienst nach Niederhunscheid am Himmelfahrtstag - das alles ließ die Gemeinde immer mehr mit ihren Obdis zusammenwachsen. Inzwischen hat der OFK ein eigenes Bibelcafé und zwei Hauskreise.
Zwar musste man auch immer mal wieder Rückschläge hinnehmen. Doch es gibt auch viele positive Erfahrungen. Inzwischen haben nämlich viele Menschen dank der Begleitung durch den OFK ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Heute kommt es dem OFK vor allem darauf an, Angeschlagene frühzeitig zu erreichen und möglichst gar nicht erst obdachlos werden zu lassen. Deshalb geht es ihm nicht allein um die Begleitung von Wohnungslosen, sondern um ihre Einbindung in ein Netz, das ihnen einen psychologischen Halt bietet und sie gleichzeitig in materieller Hinsicht dazu befähigt, dass sie wieder einen festen Boden unter den Füßen bekommen. Der OFK ist wie eine große Familie, erklärt Pfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg, die seit 1994 auch dessen Sprecherin ist. Ihr Vorgänger war Pfarrer Lothar Hellwig, der als Kuratoriumsmitglied des Amalie-Sieveking-Hauses wichtige Erfahrungen für dieses Amt mitbrachte.
Verleihung des Salzkorn-Förderpreise der Ev. Landeskirche - in der Mitte Albert Henz und Pfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg - zusammen mit Leuten vom OFK und von der Kirchengemeinde Oberrahmede (Foto: Weiland)
Eine hohe Auszeichnung wurde dem OFK am 15. Oktober 2011 zuteil: Der Salzkorn-Förderpreis, mit dem die Evangelische Landeskirche alljährlich Gruppen auszeichnet, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Albert Henz, Vizepräses der Evangelischen Kirche von Westfalen, der die Preisübergabe in Lippstadt vornahm, hob lobend hervor, dass es der evangelischen Kirchengemeinde Oberrahmede aus ganz bewusster christlicher Motivation heraus ein Anliegen sei, Obdachlose aufzunehmen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Förderer der OFK-Arbeit in den vergangenen Jahren waren unter anderem Dr. Heinz Horst Deichmann, Unternehmer und Leiter des Hilfswerks Wort & Tat, und der international bekannte Cellist Thomas Beckmann, der die Lüdenscheider Initiative durch mehrere Benefizkonzerte unterstützte.
Nach einem Benefizkonzert des renommierten Cellisten Thomas Beckmann (l.) und seiner Frau Kayoko, bedanken sich Bürgermeister Dieter Dzewas und Pfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg sich für das Engagement (Foto: Weiland)
Im Rahmen seines Auftritts am 2. Februar 2006 trat Bürgermeister Dieter Dzewas dem OFK bei. Er überbrachte in dem Festgottesdienst Glückwünsche vom Rat und von der Verwaltung der Stadt und würdigte das vorbildliche Engagement zahlreicher Lüdenscheider Bürger insbesondere das der evangelischen Kirchengemeinde Oberrahmede für Obdachlose und Menschen in anderen Notsituationen mit den Worten Ich bin dankbar, Bürgermeister dieser Stadt zu sein. Superintendent Klaus Majoress, der im Auftrag des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg und des Kreissynodalvorstands zum 25-jäjrigen des OFK gratulierte, erklärte: Wir wissen, wie wichtig die Arbeit an Obdachlosen ist gerade in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft. Mit einem gemeinsamen Mittagessen im Kirchenhaus klang die Jubiläumsfeier schließlich aus.